Gastkommentar:Die letzte Schlacht

Lesezeit: 2 min

Es geht um mehr als eine nervige Streikwelle: Frankreich sucht eine Antwort auf die Globalisierung. Präsident Macron setzt auf eine Art "Agenda 2010" für sein Land. Ob er sich damit durchsetzen kann, ist noch nicht ausgemacht. Aber der Protest schwächelt.

Von Christophe Bourdoiseau

Streiks in Frankreich haben bei den Deutschen immer schon Kopfschütteln ausgelöst. In der Tat ist es schwer zu verstehen, wie dieses Land tickt. Anders als in Deutschland, werden Reformen selten im Dialog mit Sozialpartnern umgesetzt. Weil sich die Franzosen an einem Tisch nicht einigen können, sind die Fronten schnell verhärtet und der Konflikt wird auf die Straße verlegt.

Diesmal geht es aber um viel mehr als nur um eine "nervige" Streikwelle. Es geht um die Zukunft des Landes. Mit Emmanuel Macron haben viele Franzosen verstanden, dass es nur zwei Alternativen gibt, um der globalisierten Wirtschaft entgegenzuwirken: sich dieser neuen Welt mit Reformen anzupassen oder sich blind an die Populisten zu wenden.

Um sich als starker Anführer zu profilieren, sucht der französische Präsident die direkte Konfrontation mit den Cheminots, mit den französischen Bahnmitarbeitern. Sie stehen symbolisch für die sozialen Errungenschaften. Mit 55 Jahren dürfen die Cheminots, auch jene, die am Schreibtisch arbeiten, ohne Abschläge in Rente gehen. Solch ein Privileg, das er für neu eingestellte Mitarbeiter abschaffen will, ist nicht mehr zu rechtfertigen.

Noch ist nicht gewiss, ob Macron sich durchsetzt. Aber der Protest schwächelt

Kein Präsident vor Macron hätte aber diese Provokation gewagt. Sein Gegner ist die CGT, eine sehr stark politisch orientierte Gewerkschaft, die in dieser Schlacht auch um ihre Zukunft kämpft. Diese noch einflussreiche Arbeiterbewegung konnte in den 80er-Jahren das ganze Land lahmlegen, wenn es die Kommunistische Partei PCF so wollte. Der Konflikt zeigt, wie veraltet die französische Gewerkschaften sind.

Macron will in Frankreich die "Basta Politik" im Stile eines Gerhard Schröder einführen. Dafür erntet er viel Kritik, auch im eigenen Lager. Er ist aber kein beinharter Neoliberaler, vielmehr will er eine Art "Agenda 2010" für Frankreich verabschieden, mit einer Lockerung des Arbeitsrechts und des Arbeitsmarkts. Er will eine Bahnreform wie die Deutschen sie schon 1994 gemacht haben. Er will die Unternehmens- und Reichensteuern senken, um mit anderen Nachbarländern in Europa wieder mithalten zu können. Der französische Präsident verspricht sich dadurch mehr Investitionen und mehr Jobs. Eine vernünftige politische Alternative zu diesem sozialliberalen Kurs von Macron gibt es nicht mehr. Nach der Präsidentenwahl vor einem Jahr sind die Sozialisten und die Konservative Partei einfach von der politischen Landkarte verschwunden. Die Opposition besteht heute aus zwei antieuropäischen Bewegungen: dem rechtsextremen Front National und der France Insoumise, eine Art Guerillabewegung aus dem Linkslager.

Es ist zu früh zu sagen, ob Macron sich durchsetzen wird. Frankreich steckt noch mitten in der Schlacht. Aber die Protestbewegung schwächelt; die traditionellen Demonstrationen zum 1. Mai haben das gezeigt. Umfragen bestätigen außerdem, dass diese Proteste die Popularität Macrons nicht beeinträchtigt haben, obwohl sie die Franzosen in ihrem täglichen Leben hart treffen.

Der sozialliberale Staatschef ist entschlossen, bis zum Ende zu kämpfen: Setzt er sich gegen die Cheminots durch, glaubt er, alle Reformen durchsetzen zu können. Bei der Bahn, Air France und anderen staatlichen Unternehmen wird mindestens bis zum Sommer gestreikt. Wer einen Frankreich-Urlaub plant, sollte besser mit dem Auto fahren.

Christophe Bourdoiseau, 51, ist Deutschland-Korrespondent der französischen Tageszeitung Le Parisien. Er lebt seit 20 Jahren in Berlin.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: