Gastbeitrag:Was schadet und was schützt

Lesezeit: 3 Min.

Juden für Krankheiten und anderes Unheil verantwortlich zu machen, ist ein altes, übles Muster. Auch in der Corona-Krise gedeihen Verschwörungstheorien. Es ist an der Zeit, damit aufzuräumen und zusammenzuhalten. Denn das Virus trifft alle, unabhängig von Nationalitäten und Religionen.

Von Ronald S. Lauder

Erneut erleben wir in beängstigenden, unsicheren Zeiten den Versuch von Unruhestiftern, die Covid-19-Erkrankung als etwas anderes darzustellen als das, was es ist: eine Pandemie, verursacht durch ein Virus, das keine politischen, sozialen Grenzen kennt.

Stattdessen sollen Menschen zu Sündenböcken gemacht werden. Wer etwa versucht, asiatischstämmige Menschen verantwortlich zu machen, nur weil das Virus erstmals in China auftrat, handelt zutiefst verwerflich und schafft eine direkte Bedrohung für diese Menschen.

Diese Art der Schuldzuweisung kommt dem jüdischen Volk erschreckend bekannt vor. Und auch wir Juden werden wieder zur Zielscheibe gemacht. Antisemitismus des 21. Jahrhunderts trägt andere Kleidung als früher, wie jede soziale Störung kann er sich anpassen und macht sich zunutze, was Menschen gerade ängstigt.

Man sieht ein Muster, das sich wiederholt. Als im 14. Jahrhundert die Beulenpest in Europa wütete, wurden Juden verantwortlich gemacht, weil ihre Vorväter angeblich Brunnen vergiftet hätten. Regenten und religiöse Führer erklärten die Seuche zur Strafe Gottes, weil man Juden erlaubt hatte, unter Christen zu leben. Tausende unschuldiger Männer, Frauen und Kinder wurden brutal niedergemetzelt, ganze jüdische Gemeinden wurden ausgelöscht. Müßig zu erwähnen, dass die Pest dadurch natürlich nicht gestoppt wurde.

Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg wollten Nationalisten den deutschen Juden die Schuld zuschieben, obwohl diese kurz zuvor noch in der kaiserlichen Armee tapfer gekämpft hatten. Kurzerhand machte Hitler die Juden gleich noch zu den Verantwortlichen für alle anderen misslichen Umstände, die dem Land widerfuhren. Mit einem katastrophalen Ergebnis, das im Holocaust mit dem Massenmord an sechs Millionen Juden endete.

Gerade ist zu sehen, wie alte Muster wiederbelebt werden, ob in den dunklen Tiefen des Internets oder in öffentlichen Mitteilungen. Es ist beängstigend vertraut.

Die Beispiele häufen sich. In zahlreichen Ländern erleben wir ominöse Verweise auf den jüdischen Philanthropen Georg Soros, ressentimentgeladene Karikaturen hakennasiger Juden und die Behauptung, Juden würden Machtpositionen in Politik, Finanz- und Gesundheitswesen dazu benutzen, das Virus zu verbreiten. Und umgekehrt kursieren widerwärtige Witze, man könne die Welt nun von den Juden befreien, indem man sie einfach sterben lasse.

Die Juden nun auch für das Coronavirus verantwortlich zu machen, ist weltweit zu einer Masche der Antisemiten geworden. Die rechtsextreme griechische Zeitung Eleftheri Ora schrieb: "Die Coronavirus-Pandemie und der zerstörerische Weg des öffentlichen Lebens in Religion und Politik ist das eindringliche Werk der antichristlichen zionistischen Mächte."

In der Türkei, so wurde berichtet, sagte der Vorsitzende der Refah-Partei - Sohn eines ehemaligen Premierministers - kürzlich: "Auch wenn wir keine sicheren Beweise haben, dient dieses Virus dem zionistischen Ziel, die Bevölkerung zu dezimieren und zu verhindern, dass sie zunimmt." Und weiter: "Zionismus ist ein 5000 Jahre altes Bakterium, dass Leid von Menschen verursacht hat."

Die algerische Zeitung Al-Masdar veröffentlichte eine Verschwörungstheorie: "Eine zionistische Organisation steckt hinter dem Coronavirus, und das zionistische Gebilde (gemeint ist Israel) behauptet, den Impfstoff gefunden zu haben." Ein in Schweden lebender Journalist erklärt: "Corona ist biologische Kriegsführung gegen ausgewählte Länder durch die zionistische Terrororganisation, sie profitieren von stürzenden Börsenkursen." In Ungarn behauptet die regierungsnahe Zeitung Magyar Nemzet nach einer Spende von George Soros zur Corona-Bekämpfung in der Hauptstadt: "Soros nutzt die Epidemie für sich aus und hat sich in die Stadtverwaltung eingekauft."

Selbst in Deutschland musste der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, angesichts der massiven Häufung von Falschmeldungen im Netz vor "krudestem Antisemitismus" warnen.

Ob Juden, Asiaten, andere Sündenböcke: Die Covid-19-Krankheit dient als Anlass, altbekannten Hass zu verbreiten. Und genauso eindeutig, wie das jüdische Volk gegen den jüngsten Ausbruch des Hasses zu verteidigen ist, müssen wir alle gemeinsam als Zivilgesellschaft betroffene Individuen, Gemeinschaften und Völker gegen Hetze im Zusammenhang mit der Krise verteidigen.

Spannungen zwischen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zu erzeugen und zu fördern, schafft nicht nur Gefahr für diese, sondern für die Gesellschaften weltweit. Und das fängt schon bei Kleinigkeiten an: Dumme Witze, das Nachplappern von Gerüchten oder das Bedienen von Stereotypen - all das schafft Beklemmung in unserer Mitte.

Jetzt ist der Zeitpunkt, angesichts eines globalen Ereignisses zu erkennen, dass alle betroffen sind und deshalb zusammenstehen müssen. Wenn wir eines in den vergangenen Wochen gelernt haben, dann dass wir durch diese Krise nur gemeinsam hindurchkommen. Das Virus unterscheidet nicht zwischen Reich und Arm, Stadt oder Land, Asiaten, Europäern, Afrikanern oder Amerikanern.

Kurz gesagt: Wir werden einander brauchen. Wenn wir diese schwierige Zeit mit Schuldzuweisungen vergeuden, wird es umso schwieriger, nicht nur die Menschheit von dieser Erkrankung selbst zu heilen, sondern auch unsere Gesellschaften angesichts unabsehbarer sozialer und wirtschaftlicher Auswirkungen.

Deshalb reicht es nicht aus, nur auf eine aggressive Sprache zu verzichten. Wir müssen vielmehr einschreiten, wo sie verwendet wird. Wer aufwiegelt, der muss zur Ordnung gerufen werden. Und wer Unfug weiterträgt, der muss umgehend korrigiert werden. Im Kampf gegen das Virus haben wir keine Zeit zu verlieren.

Wir können heute noch nicht wissen, was uns die Covid-19-Pandemie abverlangen wird. Aber wir können heute und jetzt entscheiden, der Krankheit nicht zu erlauben, uns unsere Zivilisiertheit, unsere Würde und unsere Fähigkeit zur Gemeinschaft zu rauben.

Ronald S. Lauder ist Präsident des World Jewish Congress (WJC).

© SZ vom 09.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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