Gastbeitrag:Ungebührlich

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Das Beispiel "Lindenstraße" zeigt: ARD und ZDF werden ihrem Auftrag nicht mehr gerecht, der Gesellschaft als Ganzes zu dienen.

Von Dagmar Schön

Im März 2020 würde die TV-Serie "Lindenstraße" 35 Jahre alt. Da ein Serienjahr eher einem Katzen- als einem Menschenjahr entspricht, könnten sowohl der Produzent Hans W. Geißendörfer als auch die Zuschauerfamilie ihr Familienmitglied Lindenstraße mit gesegneten 135 Jahren in Ruhe entschlafen lassen.

Trotzdem hat das angekündigte Aus der Serie selbst bei mir Empörung ausgelöst, obwohl ich sie nur noch sporadisch verfolge. Dabei gehöre ich altersmäßig noch zum Stammpublikum öffentlich-rechtlicher Sender. Die Jugend sitzt dagegen oft nicht mehr vor dem Fernseher, sondern "streamt" auf Empfangsgeräten, die genauso mobil sind wie ihre Eigentümer.

Dennoch gibt es sie noch, die öffentlich-rechtlichen, bewegten Bilder. Die Verant-wortlichen, haben, anders als die CEOs der Privatsender, nicht in erster Linie das Wohlergehen der Shareholder zu gewährleisten, sondern dasjenige der Gesellschaft als Ganzes. Maßstäbe sind die Wertvorstellungen des Grundgesetzes und der Rundfunkstaatsvertrag. Die Rundfunkbeiträge sollen für Information, Bildung und Unterhaltung ausgegeben werden, die Sendungen sollen ein Miteinander statt ein Gegeneinander und Empathie statt Feindseligkeit bei den Zuschauern fördern. Ob dies gelingt, dafür sind "Quoten" kein Maßstab. Sie müssten ARD und ZDF kaltlassen. Deren Programmstrukturen und -inhalte lassen aber vermuten, dass hier etwas verrutscht ist.

Hochleistungssport, vor allem Fußball, sorgt für gute Quoten, kostet aber zu viel Gebührengeld, obwohl das Zuschauen nicht fit macht und die Sendungen reiche Vereine und Fußballspieler nur noch reicher machen. Das zweite Problemfeld ist die Krimi-Pest. Hier dürfte das ZDF mit täglich sechs bis zehn Krimis weit vor der ARD liegen, die dafür ihr Abendprogramm häufiger mit Fußball anreichert.

Dass man sich auf Abwegen befindet, beweisen zwei Entwicklungen: Die Sendeplätze für Dokumentationen, von denen es viele hochwertige gibt, wurden fast auf null reduziert. Auch bei anderen Sendeplätzen erkennt man nicht, dass sie kreativen, von den Filmhochschulen gut ausgebildeten jungen Leuten zur Verfügung gestellt werden, um Neues auszuprobieren und so auch das ältere Publikum von ARD und ZDF mit neuen Sicht- und Sehweisen vertraut zu machen. Das Programm hierfür zu öffnen wäre im Sinne des Grundgesetzes und des Rundfunkstaatsvertrags.

Nicht in deren Sinn sind Inhalte, die mich in den vergangenen Wochen schockiert haben. In drei neu produzierten Krimis, die ich zufällig gesehen habe, wurde Selbstjustiz propagiert. Es waren dies "Schwartz & Schwartz", der Tatort "Treibjagd" und die Miniserie "Die Protokollantin". In letzterer darf Iris Berben als Protokollantin namens Freya Becker beim LKA Berlin nicht nur den Mörder ihrer Tochter zur Strecke bringen, sondern auch noch Auftragsmörder auf Männer ansetzen, die ihrer Meinung nach von der Justiz nicht "richtig" bestraft wurden. Ich konnte kaum glauben, was mir da für meine Gebühren angeboten wurde. So hilft man dabei, die Ideologie von AfD und Pegida zu verbreiten.

Beim "Treibjagd"-Tatort schafften es die Autoren der Folge, die mit der Anklage eines Falles von Selbstjustiz beginnt, am Ende den Zuschauern die Schlussfolgerung nahezulegen: Hätte der "besorgte Bürger" die kleine Einbrecher-Schlampe doch umgebracht, dann wäre er noch am Leben und nicht die Straftäterin. 9,34 Millionen Zuschauer haben diese Botschaft vernommen.

Freuen können sich über derartige Programmtendenzen in unseren öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern nur bestimmte Leute - und die erheben als Anhänger der AfD ihre Stimme ohnehin schon sehr laut in diese Richtung. Und die "Lindenstraße" muss eingestellt werden, weil sie "zu teuer" und die Quote zu schlecht sei.

Dagmar Schön ist seit Anfang der 80er-Jahre als Rechtsanwältin in München tätig.

© SZ vom 24.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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