Gastbeitrag:Millionen für eine Ruine

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Da muss der Meister aber einen schlechten Tag gehabt haben: Warum immer mehr Werke berühmter Altmeister wie Leonardo da Vinci und Caravaggio auf dem Kunstmarkt auftauchen - ohne jede Qualitätskontrolle.

Von Sybille Ebert-Schifferer

Auch in der Kunst gilt: Ein Nobody ist nichts wert. Ein anonymes Gemälde zu verkaufen ist schwerer und vor allem weniger rentabel als eines mit Namen. Und wenn es gar ein Name mit von und zu ist, da Vinci zum Beispiel, dann klingeln auch schon mal mehrstellige Millionenbeträge in der Kasse. 450 Millionen Dollar hat ein Christusbild gekostet, das ein Ölmagnat als Leonardo gekauft und dem Louvre Abu Dhabi zur Verfügung gestellt hat - aber der stellt es jetzt nicht aus und schweigt. Das Bild war vor der Restaurierung so schwer beschädigt, dass kaum noch mit Bestimmtheit zu sagen war, wer es gemalt haben könnte.

Museen kaufen solche Ruinen in aller Regel nicht an, Privatleute können freilich mit ihrem Geld tun und lassen, was sie wollen. Museen haben die Aufgabe, der Öffentlichkeit die Eigenart einer Künstlerpersönlichkeit authentisch zu vermitteln. Bei dem Bietgefecht um "Leonardo", welcher Qualität auch immer, ging es offenbar um Prestige, um die Gier, einen Leonardo oder auch nur das teuerste Gemälde der Welt zu besitzen, egal, wie sehr es sich dabei um eine von der Restauratorin hergestellte Fiktion handelt. Man könnte statt Leonardo auch Michelangelo oder Caravaggio sagen, es geht bei dem Geldverschiebebahnhof nur noch um berühmte Namen, um keine Menschheitsgeschichte mehr, sondern um die pervertierten Rudimente eines nicht mehr gelebten Kanons.

Das Problem ist: Nur mit erstrangigen Namen läuft das Geschäft auf dem Altmeistermarkt noch gut, und deren Werke sind rar. Aber immer noch ist eine Leinwand oder Tafel mit Namen besser als eine ohne. Deshalb geben sich Händler viel Mühe, ihre Werke unbekannter Meister einem (möglichst berühmten) Autor zuzuweisen. Auf Hilfe aus der Fachwelt sind sie angewiesen, denn nur, wenn von dort wenigstens ein paar Stimmen Akzeptanz signalisieren, ist die Zuerkennung auf dem Markt auch durchsetzbar. Diese Fachwelt ist bunt; es findet sich immer jemand, der liefert, oft durchaus nach bestem Wissen und Gewissen, bis hin zu Kollegen, die leichthin mit einem E-Mail-Zweizeiler eine Zuschreibung "bestätigen", die sie im Original womöglich nie gesehen haben. Ist Bereicherung ihr Motiv? Nicht nur und nicht immer: Eine "Entdeckung" gemacht zu haben bringt Ruhm, und das verführt auch.

Tatsächlich drohen aber Fallen. Das kennerschaftliche Bauchgefühl kann sich schwer täuschen, wenn nicht andere Evidenzen wie schriftliche Quellen und Herkunftsbelege dazukommen. Geht es um höhere Preise, wird auch gern in naturwissenschaftliche Untersuchungen investiert. Groß ist der Jubel, wenn bei einer Röntgenaufnahme entdeckt wird, dass sich der Künstler korrigiert hat. Doch das ist kein Beweis für ein Original, auch ein Kopist kann irren. Und wo die Grenzen zwischen Original, eigenhändiger Replik, Werkstattreplik und Kopie liegen, ist ohnehin schwammig. Etliche Künstler sorgten gleich selbst für die Produktion von Repliken. Schon Zeitgenossen fanden, Leonardos treuer Lieblingsschüler Francesco Melzi male so perfekt in der Manier des Meisters, dass Werke der beiden gar nicht zu unterscheiden seien. Als Guido Reni 1635 sein Altargemälde in die Kapuzinerkirche nach Rom versandte, schickte er den besten Kopisten aus seiner Werkstatt gleich mit. Der sollte die Nachfrage nach Repliken vor Ort befriedigen. Das Geschäft lief so gut, dass sein Atelier gleich mehrere Jahre bestand. So blieben die Qualität unter Kontrolle und die Einnahmen bei der Firma. Wie viele Erzeugnisse des diskreten Doublettenherstellers sind wohl seitdem als eigenhändige Guido Renis verkauft worden?

In einer weiteren Falle hockt das Fach Kunstgeschichte, genau besehen. Einerseits ist nur ein Bruchteil der früheren Kunstproduktion erhalten, andererseits sind aus Dokumenten Tausende Künstlernamen bekannt, denen sich kein einziges Werk zuordnen lässt - also landen alle "anonymen" bei mehr oder weniger bekannten Namen. Und so werden immer neue Leonardos, Michelangelos und Caravaggios entdeckt, die nur den Schluss zulassen, der Meister habe da aber einen sehr schlechten Tag gehabt - während Tausende nach dieser Logik gar nichts produziert haben. Da locken Renditen, die man schon als Blase bezeichnen kann.

Die Kunsthistorikerin Sybille Ebert-Schifferer ist emeritierte Direktorin des Max-Planck-Instituts Bibliotheca Hertziana in Rom.

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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