Gastbeitrag:Global Player Deutschland: Viel Geld, kein Plan

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Das Auswärtige Amt begeht dieser Tage sein 150jähriges Jubiläum - und steht nicht nur wegen der Pandemie vor gewaltigen Herausforderungen. Zu Feiern gibt es wenig.

Von Ralf Südhoff

Die deutsche Außenpolitik sieht sich als einen von "Werten und Verantwortungsbewusstsein", von Prinzipien statt Interessen geleiteten "Global Player". Misst man Berlin jedoch an den eigenen Maßstäben, wird nicht nur in Covid-19-Tagen deutlich, wie weit es hinter selbige zurückfällt. Dies zeigt plastisch ein Außenminister, der in all den außenpolitischen Corona-Fragen - deren ultimative Horrorszenarien nun in Flüchtlingscamps in Griechenland, in Syrien oder unter den mehr als eine Milliarde Slumbewohnern weltweit drohen - vorrangig ein Thema setzt: Rückholaktionen für Deutsche. Lange Zeit prägte das Bild der deutschen "Scheckbuchdiplomatie" die Außenpolitik der Bundesrepublik. Sie wollte sich aus historischen Gründen zwar finanziell, aber selten darüber hinaus engagieren. Heute entsteht der Eindruck, dass Deutschland zwar mehr als sein beachtliches finanzielles Engagement leisten will, es aber selten kann. Das zeigt sich deutlich auf einem Feld, auf das das Auswärtige Amt (AA) besonders stolz ist: sein humanitäres Engagement. Berlin ist mit rund 1,5 Milliarden Euro heute der zweitgrößte Geber weltweit, seit 2008 haben sich die Ausgaben versechzehnfacht. Dies hat große Erwartungen geweckt, auch an Berlins künftigen Einfluss auf Großkrisen. Denn zugleich ist eine prinzipienorientierte, humanitäre Hilfe nach dem Maß der größten Not heute gefährdet wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Washington ging hier voran, als es etwa 2019 Hilfe für Venezuela explizit zugunsten der Opposition instrumentalisierte. Dann beschloss die EU, die Seenotrettung im Mittelmeer einzustellen und Ertrinkenden aus migrationspolitischen Motiven jede Hilfe zu verweigern. Sie ließ die zigfach überbelegten Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln offenbar bewusst im Chaos versinken. Nun setzt Athen gar das Grundrecht auf Asyl aus. Und Deutschland? Nimmt einige minderjährige Flüchtlinge auf. Stellt wieder einige Millionen zur Verfügung. Betont, es bemühe sich um eine humane Politik.

Die Motive im AA sind lauter. Woran liegt es also, wenn das mächtige Berlin nicht Athen veranlassen kann, Toilettenhäuschen für Flüchtlinge aufzustellen?

Oder wenn der deutsche UN-Botschafter Berlins Rolle im UN-Sicherheitsrat so bilanziert: "Mit Blick auf die großen Krisen haben wir keinerlei Fortschritte erreicht." Als im UN-Sicherheitsrat etwa entscheidende Verhandlungen über die Syrienkrise begannen, war der zuständige deutsche Diplomat im wohlverdienten Urlaub. Strukturelle Überlastung ist ein Problem: Das Budget des AA ist heute fast doppelt so hoch wie vor zehn Jahren, sein - zudem ständig rotierendes - Personal aber um nicht einmal zehn Prozent gewachsen. Für humanitäre Hilfe weltweit sind bis heute 73 Mitarbeiter zuständig, nicht mal ein Prozent des Personals steuern rund 25 Prozent des Budgets. Eine Folge: Laut Bundesrechnungshof hat das AA fast 2,5 Milliarden Euro des Gesamtbudgets ohne hinreichende Prüfung verausgabt. Für die humanitäre Hilfe des AA ist zudem die "Abteilung S" zuständig, S wie "Stabilisierung". Zielkonflikte sind programmiert: Die deutsche Stabilisierungspolitik konzentriert sich qua eigener Leitlinie "vor allem auf die Krisen und Konflikte, die deutsche und europäische Sicherheitsinteressen besonders betreffen". Diese Vermischung aus migrations- und sicherheitspolitischen Interessen gefährdet die neutrale Arbeit und Sicherheit von Helfern in Krisengebieten. Zudem werden Probleme mit der Rollenverteilung zwischen AA, Kanzleramt, Verteidigungs-, Wirtschafts- und Entwicklungsministerium sogar öffentlich. Ausländische Beobachter fragen deshalb immer wieder, ob nicht auch Berlin zur Koordination einen nationalen Sicherheitsrat brauche. Wer entscheidet, wenn es gilt, Werte gegen Interessen zu verteidigen? Wenn es im Kampf gegen Corona um Rettungsschirme auch für die Ärmsten der Armen geht? Ein AA, das seiner Rolle im 21. Jahrundert gerecht wird, wäre national wie international heute also so wichtig wie selten zuvor. Wie weit der Weg dorthin ist, weiß man auch intern. Das hat Staatsminister Niels Annen jüngst benannt: Nach 150 Jahren sei ein Amt zu schaffen, in dem gelte: "Teamgeist statt Obrigkeitsdenken, Kollegialität statt Herrschaftswissen und Feminismus statt Patriarchat".

Ralf Südhoff ist Direktor des Think tanks "Centre for Humanitarian Action (CHA)".

© SZ vom 04.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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