Gas-Streit:"Moskau nutzt seine Energie nicht als Waffe"

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Die Energiedebatte ist zu stark politisiert, sagt Russland-Experte Roland Götz. Europa sei nicht von Moskau abhängig und könne Gazprom vertrauen.

Matthias Kolb

Roland Götz ist promovierter Volkswirt und war bis April 2008 Mitglied der Forschungsgruppe GUS/Russland der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Auf welchen Wegen russisches Gas durch Europa und nach Deutschland fließt - ein Überblick (Foto: Grafik: Eiden, SZ)

sueddeutsche.de: Herr Götz, seit Neujahr hat der Staatskonzern Gazprom die Lieferungen an die Ukraine gedrosselt und gestoppt. Setzt Russland seine Energie als Waffe ein, um einen unliebsamen Nachbarn zurechtzuweisen?

Roland Götz: Diese Sicht ist weit von der Realität entfernt. Es handelt ja nicht der Kreml, sondern Gazprom, das größte Unternehmen Russlands, das - neben der Versorgung des russischen Binnenmarkts zu niedrigen Preisen - in erster Linie kommerzielle Ziele verfolgt.

Natürlich gibt es gemeinsame Interessen, auch weil der russische Staat Mehrheitsaktionär bei Gazprom ist, aber die privaten und ausländischen Aktionäre vertreten deren eigene Interessen. Die großen russischen Unternehmen wie Gazprom sind keine Instrumente des Kreml, Moskau nutzt seine Energieressourcen nicht als Waffe. Was sollte die russische Führung denn erreichen wollen?

sueddeutsche.de: Vielleicht will Russland die Ukraine bestrafen, weil deren Präsident Juschtschenko das Land in die Nato führen will.

Götz: Das ist eine bloße Spekulation. Für Gazprom und den Kreml ist der Ruf als verlässlichen Energie-Lieferant für Europa lebenswichtig, um dort Gewinne zu machen und die Staatseinnahmen nicht zu gefährden. Der Streit mit der Ukraine ist ja nichts Neues und eskalierte zuletzt 2006. Damals hat man gar nicht versucht, die öffentliche Meinung des Westens zu beeinflussen, nun verhält sich die russische Seite ganz anders. Und an sich hat Gazprom gute Argumente.

sueddeutsche.de: Es handelt sich also nur um einen wirtschaftlichen Streit.

Götz: Es ist die Auseinandersetzung zwischen den beiden Firmen Gazprom und dem ukrainischen Staatsbetrieb Naftogaz. Im Kern geht es um die Bezahlung von etwa einer Milliarde Dollar Schulden aus dem Jahr 2008 und um einen Vertrag für die Fortführung der Gaslieferungen 2009. Den hat die ukrainische Seite nicht unterschrieben, obwohl er annehmbare Bedingungen enthielt.

sueddeutsche.de: Sie argumentieren, die weitverbreitete Annahme, Europa sei vom russischen Gas abhängig und deswegen verwundbar, sei falsch. Wieso?

Götz: Europa deckt nur 30 Prozent seines Gasbedarfs von jährlich 500 Milliarden Kubikmeter aus Russland ab. Zugleich gibt es Speicherkapazitäten, die im Ernstfall die russischen Importe für viele Wochen ersetzen könnten, wenn auch mit großen regionalen Unterschieden. Wir in Deutschland verbrauchen jährlich etwa 100 Milliarden Kubikmeter und importieren rund 35 Milliarden aus Russland, können aber 20 Milliarden speichern.

Also lassen sich russische Gasimporte im Falle eines Ausfalls für viele Monate ersetzen. Hinzu kommt, dass auf lange Sicht statt Naturgas ja auch mehr Biogas, Kohle und erneuerbare Energien verwendet werden können. Die Industrie setzt verstärkt auf neue Kohlekraftwerke und Atomenergie. Die EU-Länder müssen also von niemandem abhängig sein - zumal sie reich genug sind, um auf dem Weltmarkt einzukaufen und eine gute Infrastruktur für den Import haben.

sueddeutsche.de: Weshalb ist der Mythos der Verwundbarkeit Ihrer Meinung nach so verbreitet?

Götz: Diese These wird von US-amerikanischen Denkfabriken wie der Heritage Foundation oder dem Nixon Center stark propagiert, die einen geopolitischen Ansatz vertreten. Die europäische Diskussion hat sich seit der Erweiterung der Europäischen Union verändert. Die baltischen Staaten haben aus ihrer sowjetischen Vergangenheit ein gespanntes Verhältnis zu Russland.

Ähnliches gilt für Polen. Die Debatte dort ist politisch bedingt und das Thema Energie wird oft benutzt, um Stimmung gegen Russland zu machen. Dabei haben diese Länder ihre eigenen Energiesysteme nicht modernisiert oder wie in Litauen den baldigen Ausfall alter Atomkraftwerke nicht kompensiert. Also rufen sie nach Hilfen der EU. Doch Brüssel macht einen Fehler, sich in diese Debatte hineinziehen zu lassen.

sueddeutsche.de: Was ist mit dem Vorwurf, Gazprom investiere zu wenig in die Erschließung neuer Öl- und Gasfelder und werde bald seine Verpflichtungen nicht mehr einhalten können?

Götz: Es gab eine Phase in den ersten Jahren des Jahrzehnts, in der der Monopolist wenig investiert hat. Doch mittlerweile hat sich das geändert, Gazprom steckt mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr in die Entwicklung neuer Gasfelder. Man kann nicht sagen, dass dort etwas vernachlässigt wird und dass eine Gaslücke droht. Dieses Negativszenario basiert auf einem weitverbreiteten Papier des früheren Energieministers Milow, das jedoch auf Rechen- und Datenfehlern beruht.

Lesen Sie auf Seite 2, weshalb es kein Kartell der Gasexporteure geben wird.

sueddeutsche.de: Die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass die Importe aus Russland zurückgehen werden. 2030 sollen 54 Prozent des importierten Gases aus Afrika kommen. Sind Algerien und Libyen sicherere Partner als Russland?

Gazprom-Zentrale in Moskau (Foto: Foto: dpa)

Götz: Innerhalb Europas gibt es nur Norwegen als gänzlich verlässlichen Partner der EU-Länder. Dann kommt meiner Meinung nach schon Russland, denn das Gas von dort wird seit Jahrzehnten geliefert und wir haben bis 2035 Lieferverträge mit Gazprom. Zu Nordafrika haben vor allem die Franzosen gute Beziehungen. Das sollte funktionieren.

sueddeutsche.de: Die Nabucco-Pipeline soll ja künftig Gas aus Zentralasien nach Europa liefern.

Götz: Bei diesem Projekt bin ich skeptisch. Die Pipeline führt von der Türkei über Bulgarien, Rumänien, Ungarn nach Österreich, also über viele Transitländer. Für mich ist die Rolle der Türkei nicht unproblematisch. In wenigen Jahren wird sich entscheiden, ob das Land in die EU aufgenommen wird - wird Ankara noch ein Partner sein, wenn etwa Frankreich einen Beitritt verhindert?

Noch entscheidender ist die Frage, woher das Gas für Nabucco kommen soll. Es kann aus Iran oder aus Turkmenistan kommen, aber laut Hermes-Ranking sind das die riskantesten Länder im europäischen Umkreis. Also will man den bewährten Partner Russland gegen Länder tauschen, mit denen man keine Erfahrung hat. Diese Art der Diversifizierung ist wenig überzeugend.

sueddeutsche.de: Und wie sieht es aus mit der Gas-Opec, die Russland mit Ländern wie Venezuela, Iran, Algerien oder Katar gründen will?

Götz: Das ist nur ein psychologisches Druckmittel und völlig unrealistisch. Ich verstehe allerdings nicht, weshalb sich Putin in dieser Sache so engagiert - wahrscheinlich unterschätzt er die negative Wirkung seiner Worte, was vielen russischen Politikern passiert.

Gäbe es eine Gas-Opec, würde der Gaspreis durch die Dispositionen von Kartellmitgliedern mit sehr unterschiedlichen Interessen bestimmt, was nicht im russischen Interesse sein kann. Würde eine solche Organisation gegründet und als echtes Kartell funktionieren, dann müsste Gazprom alle langfristigen Verträge mit seinen Partnern kündigen - doch genau die braucht die Firma, um die Investitionen planen und finanzieren zu können.

sueddeutsche.de: Europäische Politiker fordern, die EU müsse mit einer Stimme sprechen, um Druck auf Gazprom auszuüben. Ließe sich die Energiesicherheit so verbessern?

Götz: Ich glaube nicht. Es gilt in der EU das Prinzip der Subsidiarität: Erst wenn die Staaten nicht weiterkommen, wird die EU tätig. Brüssel hat zudem kaum Kompetenzen auf dem Gebiet der Energieaußenpolitik und keine Instrumente - außer Delegationen zu schicken.

Es geht hier um europäische Wirtschaftsunternehmen, die konkurrieren und deshalb nie mit einer Stimme sprechen werden. Für Nabucco gab es den Vorschlag einer europaweiten Gaseinkaufsgemeinschaft - das wird niemals genehmigt werden, weil es den freien Wettbewerb und alle Marktprinzipien der EU verletzt.

sueddeutsche.de: Sie gehen mit der Energiepolitik der EU hart ins Gericht. Brüssel will Russland als zuverlässigen Lieferanten behalten und hat zugleich die Diversifizierung mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit von Moskau begründet.

Götz: Das ist wirklich ein Widerspruch. Nicht nur Russland, auch die EU verhält sich ungeschickt. Den Bau der Nabucco-Pipeline damit zu begründen, dass man sich von Moskau lösen möchte, halte ich nicht für klug, weil es ein politisches Argument in die wirtschaftliche Debatte einbringt.

Lesen Sie auf Seite 3, weshalb auch europäische Staaten die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland politisieren.

sueddeutsche.de: Sie argumentieren, dass sich die EU auch politische Einflussmöglichkeiten nimmt, um beim Klimaschutz oder bei der Energieeffizienz mit Russland zu kooperieren.

Götz: Es entsteht eine Stimmung, in der das in der Wirtschaft so wichtige Vertrauen fehlt. Ein guter Test wird die Nord-Stream-Pipeline sein. Gerade in Schweden und im Baltikum sollte man sehen, dass es sich um Verträge zwischen Unternehmen handelt. Wenn die Umweltstandards erfüllt sind, dann kann und darf man das nicht blockieren. Dabei ist die Opposition gegen das Projekt vor allem politisch motiviert. Es ist ein schlechtes Beispiel, wenn man selbst genau das tut, was Russland immer vorgeworfen wird: die Politisierung der Wirtschaftsbeziehungen.

sueddeutsche.de: Wie beurteilen Sie die Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee?

Götz: Bei Nord Stream muss man festhalten, dass dadurch keine neuen Gasquellen erschlossen werden - das Gas kommt weiterhin aus Sibirien und wird nur nicht mehr wie bisher durch die Ukraine oder Weißrussland geliefert. Diese Verlagerung schwächt allerdings die Stellung der Transitländer und verhindert solche Preiskämpfe, wie wir sie 2006 und 2009 erlebten. Es wird interessant sein, wie sich die EU in dieser Frage verhält, denn 2010 sollte der Bau beginnen. Nach dem letzten Gas-Streit und den Problemen mit dem Transitland Ukraine müsste Brüssel das Projekt eigentlich unterstützen.

sueddeutsche.de: Ihr Appell lautet, anstatt in alternative Routen sollte Europa eher in alternative Energien investieren

Götz: Genau. In den osteuropäischen EU-Ländern und auch in Russland kann sehr viel Energie eingespart oder durch Biomasse, Wind- und Sonnenenergie produziert werden. Deutschland hilft Russland dabei, eine Energieagentur aufzubauen und auch in der Ukraine entwickelt sich auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien vieles zum Guten.

sueddeutsche.de: Welche Lösung erwarten Sie im aktuellen Gas-Streit?

Götz: Ich denke, dass der Konflikt in wenigen Tagen gelöst sein wird. Beide Parteien werden sich bald auf einen Preis für 2009 einigen, denn sie sitzen in einem Boot: Russland darf seinen Ruf als verlässlicher Lieferant nicht gefährden und die Ukraine benötigt die Einnahmen aus dem Transitverkehr.

Eine ausführliche Version der Thesen von Roland Götz erscheint unter dem Titel "Pipeline-Popanz" in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift Osteuropa.

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