G-20-Ausschreitungen:"Sie lassen dann eben ihre Wut raus"

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Der frühere Erste Bürgermeister von Dohnanyi mahnt eine ehrliche Debatte über die Ursachen des Krawalls und die Fortsetzung des Dialogs mit der "Roten Flora" an.

Interview von Joachim Käppner

SZ: Herr von Dohnanyi, vor 30 Jahren haben Sie Frieden mit der Hafenstraße geschlossen, wegen der Hamburg bürgerkriegsartige Zustände drohten. Sie bekamen viel Anerkennung, aber auch viel Kritik. Haben Sie Ihre Entscheidung jemals bereut?

Klaus von Dohnanyi: Nein. Die Geschichte ist ja gut ausgegangen. Es hat sich damals gelohnt, noch einmal das Gespräch mit den Bewohnern zu suchen. Ich hatte , als Linksradikale und Unterstützer rings um die Hafenstraße Barrikaden errichteten, der Hafenstraße ein Ultimatum gestellt: Innerhalb von 24 Stunden sind die Barrikaden weg, in weiteren 24 Stunden sind die Häuser begehbar. Am Mittag des folgenden Tages rief mich einer der Sprecher der Hafenstraße an und sagte: "Herr Bürgermeister, die Hafenstraße ist besenrein."

Sie sagten damals, ein Entscheidungsträger dürfe nicht "etepetete", sich nicht zu fein sein dafür, mit schwierigen Gesprächspartnern den Dialog zu suchen. Gilt das heute auch für die "Rote Flora"?

Ja, auch ein schwieriger Dialog ist immer ein wesentlicher Teil politischer Arbeit. Ganz generell: Solange man miteinander reden kann, sollte man das versuchen. Davon abgesehen lässt sich der Konflikt um die besetzten Häuser 1987 nicht mit den Geschehnissen rund um den G-20-Gipfel gleichsetzen.

Aus der Union heißt es: Hier wie dort zu viel Nachgiebigkeit gegenüber Linksradikalen.

Was heißt da links oder rechts? Wir müssen uns gründlicher mit den tieferen Ursachen dieser inzwischen weltweiten Unkultur des gewalttätigen Protestes auseinandersetzen. Der Protestbewegung insgesamt geht es um Kritik an den Folgen der Globalisierung, und das ist weder auf Hamburg noch auf Deutschland beschränkt. Diese an und für sich friedliche Kritik entlädt sich immer wieder gewaltsam, weil sich gewaltbereite, ja, besser: gewaltdurstige junge Menschen, meist übrigens Männer, dieser Demonstrationen bemächtigen. Das war schon so auf früheren Gipfeln wie in Genua 2001.

Wenn sich die Debatte jetzt auf die Bekämpfung des Linksradikalismus oder auf die Rote Flora konzentriert, verkennt man das größere Bild?

Ja, diese Debatte geht an den eigentlichen Ursachen eher vorbei. Denn wir können doch nicht bestreiten, dass es die Globalisierung ist, die weltweit gewaltige Fliehkräfte auslöst. Jene Amerikaner zum Beispiel, die für Donald Trump stimmten, oder die Briten, die sich für den Brexit entschieden, wollten auch auf ihre Weise die Folgen der Globalisierung abwehren. Das Leitmotiv: Wir wollen die Kontrolle über unser Leben zurückhaben!

Am 6. Juli, dem Tag vor dem offiziellen Beginn des Weltwirtschaftsgipfels, protestierten Menschen unter dem Motto 'Welcome to Hell' gegen die Politik der G-20-Staaten. Die Polizei ging hart gegen die Demonstranten vor. (Foto: Regina Schmeken)

Für diesen Vergleich würden sich die linken G-20-Gegner aber bedanken . . .

Es geht doch in erster Linie um die ungewöhnlich großen Demonstrationen, derer sich dann einige Gewalttäter bemächtigen, um ihren Frust und ihre Gewaltsucht herauszulassen; an den Zielen der friedlichen Demonstranten sind sie ja überhaupt nicht interessiert. Die gemeinsame Klammer von Organisationen wie Attac oder Occupy Wall Street ist jedoch, dass ihre Mitglieder und Unterstützer meinen, sie könnten ihre früher überschaubaren, gestaltbaren Räume zurückgewinnen, weil sie hinter der Globalisierung, irrigerweise, dunkle, böse Kräfte vermuten.

Ein gefeuerter Stahlarbeiter aus Youngstown/Ohio, der Trump wählt, und ein Steine werfender Autonomer aus Hamburg werden vom selben Motiv geleitet?

In gewisser Hinsicht: ja. Ich sehe in all dem eine Entwicklung, die uns anzeigt, dass die Demokratie in ihrer heutigen Praxis ihre Akzeptanz verliert. Denn einerseits kann sie die Globalisierung nicht aufhalten, aber andererseits auch mit ihren Folgen nur sehr schwer umgehen. Einerseits beschränkt die Globalisierung die Gestaltungskräfte der Politik immer mehr, andererseits erwarten viele Bürger, dass nationale Politik ihre Verantwortung wie früher ausüben könnte - wenn sie doch nur wollte! Und so entwickelt die Gegenbewegung antidemokratische Züge.

Nicht alle spüren die Folgen negativ.

Eine für jedermann spürbare Folge ist die wachsende Ungleichheit. Ein Beispiel: Als Uwe Seeler hier beim Hamburger SV spielte, fuhr er nachmittags mit dem Opel Kadett übers Land und verkaufte Versicherungen, um über die Runden zu kommen. Heute verdienen junge Spieler auch beim HSV Millionen im Jahr, weil der "Markt" für Fußballer ein globaler geworden ist. Die Globalisierung löst damit auch soziale Bindungen, die doch das Fundament jeder Zivilgesellschaft ausmachen. Auch das fördert die Bereitschaft zur Gewalt.

Wieso denn das?

Weil immer mehr junge Menschen auch in einer virtuellen Welt leben statt in der realen. Ihnen fehlen dann Bindungen, fehlen Gemeinschaft, Erlebnisse, alles Dinge, die vor allem junge Menschen, und wohl besonders junge Männer, dringend brauchen. Sie lassen dann eben irgendwo ihre Wut raus.

Die Globalisierung lässt sich nicht aufhalten?

Nein. Parteien wie nun auch die AfD in Deutschland schüren allerdings die Illusion, als sei es möglich, dies durch eine Rückbesinnung auf die Nation zu bewirken. Folglich ist auch Europa ihr Feind.

Was kann Europa dagegen tun?

Die EU sollte sich auf wesentliche, gemeinsame Dinge beschränken und den Mitgliedstaaten alles überlassen, was sie genauso gut selbst regeln können. Dasselbe gilt übrigens für den deutschen Föderalismus, den manche am liebsten abschaffen würden. Aber gerade in der Globalisierung wirkt Föderalismus als Wellenbrecher globaler Überflutung, er macht uns besonders flexibel für schützende Reaktionen!

Das ist die klassische Subsidiarität: Jede staatliche Einheit regelt ihre eigenen Angelegenheiten selbst.

Darauf müssen wir uns besinnen. Warum soll man dem Bund wieder mehr Bildungskompetenzen geben? Dezentralisation soweit wie möglich ist der beste Weg, um den Menschen wieder ein Gefühl dafür zu geben, dass sie doch Herr vieler Entscheidungen sind, dass Demokratie produktiv ist und sich der Aufwand dafür lohnt.

Was würden Sie sich von der Politik wünschen?

In erster Linie eine ehrlichere Ansprache der Ursachen der Globalisierung, nämlich dass der Freiheitsdrang und die Neugierde der menschlichen Natur unaufhaltsam sind, und wer sich damit weder bei Informationen noch bei Handel abfinden will, am Ende Mauern bauen muss. Aber auch, dass wir uns gleichzeitig nicht darum drücken dürfen, auf die umfassenden, eben auch negativen Folgen hinzuweisen, die heute mit einer digital organisierten Globalisierung verbunden sind, wie die Umwälzungen auf den Arbeitsmärkten, die wachsenden Ungleichheiten, die Smartphone-gesteuerte Migration. Die Politik muss viel offener bekennen, was sie heute noch national beeinflussen kann und was nicht. Dafür brauchen wir auch eine mutigere Debatte im Bundestag, wie wir sie zum Beispiel einst um die Ostpolitik hatten.

An welche Themen denken Sie außerdem noch?

An die Flüchtlingsfrage zum Beispiel: Man muss doch auch geduldig darüber reden können, was es bedeutet, so viele Menschen mit einer anderen Kultur aufzunehmen. Eine offene Gesellschaft kann solche Unterschiede verkraften. Sie sollte Leute, die anderer Ansicht sind oder sich Sorgen machen, nicht verteufeln oder als Nazis und Fremdenfeinde abstempeln.

Also auch die in der Roten Flora.

Das gilt für jeden Protest - wenn er nicht gewalttätig wird. Gewalt ist nie Instrument der Demokratie, freie Diskussion immer: "Wenn es denn der Wahrheitsfindung dient", wie einst der Kommunarde Fritz Teufel sagte.

© SZ vom 21.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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