Freiburger Sportmedizin:Schwerer Rückschlag für Doping-Aufklärung

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Die Kommission zur Aufarbeitung eines der größten deutschen Sportskandale tritt unter Protest zurück: Ständig gab es Konflikte zwischen dem Gremium und der Universität Freiburg.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Freiburg/München

Die Aufklärung der westdeutschen Doping-Vergangenheit hat einen schweren Rückschlag erlitten. Am Dienstagmittag erklärten fünf Mitglieder der Freiburger Doping-Evaluierungskommission nach jahrelangem Streit mit der Universitätsleitung ihren Rücktritt. Nach ihrer Meinung ist kurz vor der geplanten Veröffentlichung des Abschlussberichts über die Verfehlungen der Freiburger Sportmedizin ihre Unabhängigkeit nicht gewährleistet. Sie befürchten eine Zensur ihrer Gutachten. Das Uni-Rektorat widersprach und bezeichnete den Rückzug als "unbegründet und verantwortungslos".

Die Kommission war nach aufsehenerregenden Doping-Geständnissen prominenter Radprofis im Juni 2007 durch die Universität gegründet worden. Ihre Arbeit war das vielleicht wichtigste sportpolitische Aufklärungsprojekt Deutschlands in den vergangenen Jahren. Freiburg gilt seit Langem als Zentrum des westdeutschen Dopingbetrugs. Unter anderem wirkten hier über Jahrzehnte die umstrittenen Olympia-Ärzte Joseph Keul und Armin Klümper. Sie betreuten Elite-Athleten aus Fußball, Leichtathletik und vielen anderen Sportarten. Zudem unterstützten in den Neunziger- und Nullerjahren Mediziner der Universität aktiv Doping im Radteam Telekom/T-Mobile.

Die seit 2009 von der belgischen Kriminologin und Mafia-Spezialistin Letizia Paoli geleitete Doping-Kommission beklagte bei ihrer Arbeit immer wieder Widerstände durch die Leitung der Universität sowie einen Mangel an Unterstützung durch Justiz und Politik. Wiederholt kam es vor, dass wichtige Unterlagen zu den zentralen Figuren Keul und Klümper nicht auffindbar waren. Bei seiner Arbeit stieß das Gremium nicht nur auf Verfehlungen im Doping-Bereich, sondern auch auf anderen universitären Feldern: So arbeitete die Kommission heraus, dass mehrere Freiburger Mediziner bei Forschungsarbeiten plagiiert haben sollen. "Die Uni hat immer ein dreckiges Spiel getrieben", sagte der Anti-Doping-Experte Werner Franke, der in der Anfangsphase der Kommission angehörte: "Da sind groteske Sachen passiert."

Die Kommissionschefin Paoli trat am Dienstag offenkundig lediglich aus formaljuristischen Gründen nicht zurück. Die übrigen Mitglieder wollen ihre Erkenntnisse möglicherweise in Teilen in einer eigenen Publikation veröffentlichen. Die Universität Freiburg kündigte die Einrichtung einer Forschungsstelle für Sportmedizin und Doping an, um die Arbeit fortzusetzen. Allerdings ist die Frage, wie unabhängig das geschehen kann.

Mit dem Rücktritt der Freiburger Kommission geht zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit ein wichtiges Projekt zur Aufarbeitung der westdeutschen Doping-Vergangenheit ohne klaren Abschluss zu Ende. 2013 hatte eine Forschergruppe aus Berlin und Münster eine mit 550 000 Euro vom Bundesinnenministerium finanzierte Studie zum Thema "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" vorgelegt - allerdings endete sie in den Wendejahren 1989/90 und hinterließ viele offene Fragen.

© SZ vom 02.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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