Franz Müntefering:Kurze Sätze, langer Atem

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„Opposition ist Mist“ lautet ein Klassiker aus Münteferings Sprachschatz – ausgesprochen 2004, als die SPD letztmalig die Regierung anführte. (Foto: Hannibal Hanschke/dpa)

Der ehemalige SPD-Chef und begnadete Kommunikator wird 80 Jahre alt.

Von Nico Fried

Als Beispiel für seine Sturheit hat Franz Müntefering einmal angeführt, dass er eisern bis 100 zähle, wenn er kalt dusche: "Ich gehe nicht eher drunter weg." Das hat sich ausgezahlt für den Mann, der an diesem Donnerstag seinen 80. Geburtstag feiert. Beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten zeigte er sich jüngst in offenkundig bester Verfassung und freundlich gestimmt. Er kam früh, plauderte ein wenig mit anderen Gästen, blieb aber nicht zu lange. Franz Müntefering hat immer auch noch anderes zu tun.

Aus der Politik hat er sich zurückgezogen, aber in der Öffentlichkeit lebt Müntefering durchaus in der Kontinuität dessen, was ihn zeit seines Lebens bewegt hat. Der gelernte Industriekaufmann, der 1966 in die SPD eintrat, ist unter anderem als Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes weiter sozial engagiert. Der frühere Arbeitsminister, ohne den es die Rente mit 67 nicht gegeben hätte, steht heute an der Spitze der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen. Damals beschäftigte ihn die älter werdende Gesellschaft als Problem, heute lebt er vor, welche Chancen darin stecken. Außerdem hält der Mann, der einst ein Ministeramt aufgab, um seine sterbende Ehefrau zu pflegen, heute sehr persönliche Vorträge über seine Erfahrungen.

Franz Müntefering war als Politiker ein besonderer Typ. Berühmt für kurze Sätze ("Opposition ist Mist"), aber ein Mann mit langem Atem. Er inszenierte sich als bescheidener Parteidiener, der seine Grenzen kennt, aber er hatte Macht und wusste, damit umzugehen. Unterhaltsam, aber auch unnahbar; oft gepriesen für seine Geradlinigkeit und seinen Witz, aber manchmal undurchschaubar, mit versteinertem Gesicht hinter dicken Zigarillokringeln. Als Redner ein begnadeter Kommunikator ("Fraktion ist gut, Partei auch, Glückauf!"), aber unknackbar verschwiegen, wenn es sein musste - so wie 2004, als er selbst für Spitzengenossen völlig überraschend von Gerhard Schröder den Parteivorsitz übernahm. Loyal, aber "nicht so der Kumpeltyp", wie er selbst in einem Interview antwortete, nachdem Schröder gesagt hatte, er hätte Müntefering gerne zum Freund.

Franz Müntefering vermutete Wegmarken seiner Biografie als Grund dafür, warum er sich am liebsten auf sich selbst verließ. Das Kriegskind Franz lernte seinen Vater erst mit sechs Jahren kennen, nach dessen Entlassung aus der Gefangenschaft. Sein bester Freund verstarb früh durch einen Unfall. "Ich war meistens ein Alleiner", hat er mal gesagt. Der junge Müntefering war Autodidakt, las viel und hörte Radio. Er ging in die SPD und in die IG Metall. Er suchte die Gemeinschaft, aber er behielt seinen eigenen Kopf. Seine Karriere als Fußballer war früh zu Ende, als der Sauerländer vor einem Spiel Sundern gegen Sportfreunde Neheim einen Sieg zur Bedingung machte, weiter zu kicken. Das Spiel endete 1:1. Nichts zu machen.

Politisch begann Münteferings Weg weit links. Er galt als sozialpolitischer Betonkopf - und entwickelte sich zur wichtigsten Stütze Schröders in den Zeiten der Agenda 2010. "Mein Damaskuserlebnis" hat er die Reformpolitik in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und leerer Kassen später genannt. Er rang vor Schröders Rede am 14. März 2003 bis zuletzt um Kompromisse - aber dann stand er. In diesem Fall war seine Sturheit Schröders Glück.

Müntefering und der Kanzler - unterschiedlicher können zwei Politiker kaum sein. Aber Müntefering imponierte an Schröder der Wille zur Macht, die Überzeugung, mindestens so gut regieren zu können wie die Konservativen. "Die eigentliche Verantwortung beginnt bei der Handlungsbereitschaft", hat er dazu mal gesagt. "Nicht beim Besser-Wissen, sondern beim Besser-Machen." 2005 führte er die SPD deshalb in Angela Merkels erste große Koalition. Die Reformpolitik setzte er fort - entschiedener als Merkel und Horst Seehofer, aber auch gegen wachsenden Widerstand in der eigenen Partei.

Müntefering saß insgesamt 32 Jahre lang im Bundestag; er war Minister in Landes- und Bundesregierungen und Vizekanzler, war in der SPD Bezirksvorsitzender, Bundesgeschäftsführer, Generalsekretär, Fraktionsvorsitzender und als einziger Sozialdemokrat zweimal Parteichef. Sein Wort, der SPD-Vorsitz sei "das schönste Amt neben Papst", dient heute nur noch zu karikierenden Zwecken.

Müntefering, Vater von zwei Töchtern, ist in dritter Ehe mit der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering, 40, verheiratet. Angesprochen auf den Altersunterschied antwortete er einmal: "Es relativiert sich. Bei unserer Heirat war ich 235 Prozent so alt wie sie. Wenn ich dann mit hundert sterbe, sind es nur 166 Prozent. Wir rücken zusammen." Es war ein typischer Münte, weil er dem Fragesteller humorvoll klarmachte: Das geht Sie nichts an.

© SZ vom 16.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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