Frankreichs Staatsoberhaupt Hollande:Präsident im Treibsand

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Beschwört die Vergangenheit, verliert über die Zukunft aber nur vage Worte: Frankreichs Präsident François Hollande (Foto: REUTERS)

Frankreichs Präsident Hollande steckt im Schlamassel. Aus Furcht, jede wirkliche Reform könnte ihn in die Tiefe driften lassen, verharrt er regungslos. Sein großes Wahlversprechen, das Volk zu einen, hat er nur in einer Hinsicht eingelöst: Alle, wirklich alle Franzosen sind unzufrieden mit ihm.

Ein Kommentar von Christian Wernicke, Paris

Und er bewegt sich nicht. Wer François Hollande beim Regieren zuschaut, fühlt sich, zumal als Deutscher, an Helmut Kohl erinnert. Wie einst der Altkanzler kultiviert Frankreichs Präsident eine Politik des Aussitzens. Während Kohl diese Mattigkeit allerdings erst gegen Ende seiner Regierungszeit anfiel, wirkt Hollande bereits 18 Monate nach seinem Wahltriumph gelähmt.

Er ist der Präsident im Treibsand: Hüfttief steckt er im Schlamassel - doch aus Furcht, jede wirkliche Reform könne ihn in die Tiefe driften lassen, verharrt er regungslos. So beschädigt das Staatsoberhaupt sein Amt, so untergräbt er einen zentralen Pfeiler der Republik.

Immerhin: Am Donnerstag hat sich François Hollande endlich einmal grundsätzlich geäußert. In einer patriotischen Rede beschwor der Sozialist die Leiden des Ersten Weltkriegs. Die Erinnerung an La Grande Guerre, wie die Franzosen sagen, diente dem Präsidenten als Mahnung zu innerem Zusammenhalt, ja als Durchhalteappell in der aktuellen Krise. Hollande möchte Kraft und Glorie aus der Vergangenheit saugen. Doch in welche Zukunft er dieses längst nicht mehr so stolze Land im 21. Jahrhundert führen will - darüber verlor er nur vage Worte.

In der Gegenwart geht Hollandes Stern unter. Sein großes Wahlversprechen, das Volk zu einen, löste Hollande nur in einer Hinsicht ein: Alle Franzosen sind unzufrieden mit ihm. Dieser Präsident - als Mehrheitsführer in Frankreichs halbparlamentarischer Verfassung zugleich der wahre Regierungschef - ist der unpopulärste Mann im Élysée-Palast seit Gründung der Fünften Republik.

Fast jeder steht gegen ihn - und jedermann aus seinem Grund. Die Rechte und die Reichen, aber auch sozialistische Stammwähler wie Angestellte und Arbeiter, erzürnt, dass der Staat sie mit ständig neuen, höheren Steuern schröpft. Auch die Revolte der Bretonen gedeiht auf diesem Boden.

Nur, soziale Einschnitte oder Sparmaßnahmen etwa bei Staatsrenten oder im Beamtenapparat, mag Hollande nicht riskieren - aus Angst vor einem Aufstand der Gewerkschaften und einer Rebellion in den eigenen Reihen. Schon jetzt denunziert der linke Flügel der sozialistischen Partei die Regierung als zu "sozialdemokratisch", was in Frankreich einem Schimpfwort gleichkommt. Da erntet der Präsident, was er einst als Chef der Sozialisten wuchern ließ: Hollande, der ewige Zauderer, versäumte in der Opposition eine Erneuerung seiner Partei. Stattdessen führte er 2012 eine in Clubs und Strömungen zerfaserte Linke an die Macht.

Und Hollande bleibt sich treu. Auch im Élysée moderiert er mehr, als dass er regiert. Er müht sich, es allen recht zu machen, und verklärt seine Unentschlossenheit zur "Kunst der Synthese". In Wahrheit löst er keine Widersprüche auf. Er laviert nur, mischt sich in alles ein und blamiert sich, weil er zurückweicht, wo sich Widerstand regt. Dieser Präsident paart Entscheidungsschwäche mit Erklärungsscheu. Er redet viel, aber er sagt nichts. Insgeheim mag Hollande einen Plan verfolgen - aber er teilt ihn nicht mit. Kein Kompass, keine Vision. So kommt das kriselnde Land nicht von der Stelle.

Die Folgen sind verheerend. Das Volk wendet sich ab. Die Franzosen haben das Vertrauen in diesen Präsidenten verloren - und in die Politik überhaupt. Nicht nur linke und rechte Kassandras, selbst biedere Beamte schlagen Alarm. Frankreichs Präfekten, die Vertreter des Zentralstaats in den Provinzen, malten jüngst die Gefahr einer Staatskrise an die Wand: Die Menschen, so das Fazit ihres vertraulichen Berichts, fühlen sich von Staat und Regierung im Stich gelassen.

Dies ist eine fatale Diagnose für eine Nation, die mehr als andere vom und um den Staat herum gebaut wurde. Der Schaden wiegt schwer, weil er das politische System in seiner Gänze trifft. Die Franzosen hatten, als sie 2012 den konservativen Nicolas Sarkozy ab- und den Sozialisten Hollande auswählten, nicht nur einen Richtungswechsel verlangt. Sie wollten auch einen anderen Stil. Der hyperaktive Sarkozy ging ihnen auf die Nerven; er widersprach letztlich ihrem Verständnis von der Würde des höchsten Staatsamtes.

Hollande verhieß Versöhnung. Er wollte ein "normaler Präsident" sein - und ist zum "banalen Präsidenten" geworden. So hat Hollande es vollbracht, die von seinem Vorgänger lädierte Rolle des Staatsoberhaupts noch zusätzlich zu schwächen. So sehr, dass Historiker vor einem Rückfall in die wirren, weil unregierbaren Zustände der Vierten Republik warnen. Die Gefahr wächst, dass viele Franzosen nun extremistisch wählen: Marine Le Pen, die Führerin des Front National, steht bereit, all den Unmut und die Verzweiflung zu ernten, die Sarkozy und Hollande gesät haben.

© SZ vom 08.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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