Frankreich wählt einen neuen Präsidenten:Das begehrteste Gefängnis der Welt

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Frankreichs Präsident genießt eine Machtfülle wie ein absoluter Monarch. Nur bei Hochverrat kann ihn das Parlament stürzen. Nicolas Sarkozy träumt selbst nach unzähligen Krisen, Affären und Attacken noch von dem Amt - für viele ehrgeizige Franzosen ist der Élysée-Palast die Endstation Sehnsucht.

Stefan Ulrich

Ob er schon morgens beim Rasieren von der Präsidentschaft träume, wurde Nicolas Sarkozy einmal gefragt, als er noch ein aufstrebender gaullistischer Parteipolitiker war. Seine Antwort lautete: "Nicht nur beim Rasieren."

Heute dürfte Sarkozy eher von Albträumen geplagt werden. Darin schreitet ein Sozialist namens François Hollande über einen 60 Meter langen roten Teppich im Ehrenhof des Élysée. Hollande steigt die Freitreppe hinauf, die ins Herz der französischen Republik führt. Er kommt, um Sarkozy aus dem "Goldenen Salon" - dem Büro des Präsidenten - zu vertreiben. Die Anzeichen mehren sich, dass dieses Szenario eintreten wird. Die letzten Umfragen vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl geben Hollande einen Vorsprung von mindestens drei Prozentpunkten vor Sarkozy. Für die Stichwahl sagen sie einen Erdrutschsieg des Sozialisten voraus.

Im Lager des Präsidenten macht sich Defätismus breit. Seine Berater und Minister sehen sich nach neuen Jobs um. Die Diadochenkämpfe um seine Nachfolge als Anführer der Gaullisten haben längst begonnen. Dabei hatte es kurzzeitig so ausgesehen, als könnte Sarkozy den Trend kippen. Nach den mörderischen Attentaten von Toulouse im März konnte er sich den Franzosen zunächst als souveräner, würdiger Präsident präsentieren - und in den Umfragen für den ersten Wahlgang an Hollande vorbeiziehen.

Dann kamen erstens Zweifel an der Arbeit der Sicherheitsdienste auf. Sarkozy versuchte zweitens mit seinem Ruf nach schärferen Gesetzen allzu durchsichtig, die Anschläge im Wahlkampf zu instrumentalisieren. Drittens interessierten sich die Franzosen mehr für Themen wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und ein Auseinanderbrechen der Gesellschaft in Arm und Reich. So zog der Sozialist wieder vorbei.

Sarkozy geht es wie vielen ehrgeizigen Franzosen

Doch Sarkozy ist ein Mann, der nie aufgibt. "Ihr macht euch keine Vorstellung, was für eine Lust ich habe, diese Wahl zu gewinnen", sagte er am Donnerstag zu seinen Anhängern. Dann versprach er für diesen Wahl-Sonntag eine "surprise", eine Überraschung. "Es wird auf jeden Fall etwas passieren." Nach aufreibenden fünf Jahren an der Macht, nach unzähligen Krisen, Affären und Attacken, träumt der 57-Jährige immer noch vom Élysée. Dabei geht es Sarkozy wie vielen ehrgeizigen Franzosen. Für sie ist die Präsidentschaft die Endstation Sehnsucht, im positiven Sinn.

Das Amt wird von einer Aura geprägt, die eher zu absoluten Monarchien als zu Demokratien zu passen scheint. Als "republikanischer Monarch" wird der Mann im Élysée gern bezeichnet. Sarkozy selbst wurde "Sonnenpräsident" genannt.

Die herausragende Stellung des Präsidenten in der Republik geht auf die Verfassung von 1958 zurück, die Charles de Gaulle durchsetzte. Sie wurde 1962 dahingehend abgeändert, dass der Staatschef nicht mehr von Wahlmännern, sondern vom Volk gewählt wird - was die Präsidenten-Rolle nochmals stärkte. Der damalige Oppositionspolitiker François Mitterrand geißelte die Verfassung, von der er später selbst profitierte, seinerzeit als "permanenten Staatsstreich".

Seinen Premier stufte Sarkozy als "Mitarbeiter" ein

De Gaulle wollte, dass der Präsident ein mächtiger Schiedsrichter ist, der über dem Parteienstreit schwebt und zum Wohl der Nation grundlegende Entscheidungen fällt. Dem Präsidenten solle daher "die gesamte unteilbare Autorität des Staates" zukommen.

Gemäß der Verfassung ist der Mann im Élysée keiner anderen Institution politisch verantwortlich. Das Parlament kann ihn nur in Extremfällen, etwa bei Hochverrat, stürzen. Der Präsident darf die Nationalversammlung auflösen, den Premier ernennen und die Kabinettssitzungen führen. Er kann Volksentscheide anordnen und das Parlament zwingen, über bereits beschlossene Gesetze neu zu beraten. Außerdem ist er Oberbefehlshaber der Streitkräfte samt der Befugnis, einen Atomschlag auszulösen.

In der Verfassungswirklichkeit kommt dem Staatschef die gesamte Außen- und Verteidigungspolitik als "domaine réservé" zu. Zudem beschränkte sich Sarkozy nicht auf die Schiedsrichter-Funktion. Er zog zahlreiche Aufgaben der Tagespolitik an sich. Seinen Premier stufte er als "collaborateur", als "Mitarbeiter" ein.

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Zum Mythos des Präsidenten, in dem sich Macht und Wille der Nation verdichten, trägt sein Amtssitz wesentlich bei. Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut, ist der klassizistische Stadt-Palast an der Rue du Faubourg Saint-Honoré nach dem Elysion benannt, jener paradiesischen Insel, auf der sich in der griechischen Mythologie die Helden und Lieblinge der Götter tummeln durften. Im wirklichen Leben residierten und regierten im Élysée-Palast viele herausragende Gestalten der französischen Geschichte.

Der Élysée-Palast. Viele französische Präsidenten fühlten sich hier eingeengt - der Palast sei wie eine Haftanstalt, sagte etwa Raymond Poincaré. (Foto: AP)

Madame de Pompadour wohnte hier, Napoleon I., sein Neffe Napoleon III. und dann all die Präsidenten der Republik. Sie bauten und schmückten den Palast aus, der mit seinen Gärten, 365 Zimmern, Nebenbauten und etwa tausend Bediensteten heute mehrere Funktionen erfüllt: Regierungszentrale, Wohnsitz des Präsidenten, Intrigantenstadl und Fürstenhof der Republik.

Unzählige Legenden umranken dieses Schloss. In seinen Kellern befinden sich nicht nur viele politische Leichen und 13 000 Flaschen mit den edelsten Weinen des Landes - darunter ein Premier cru de Sauternes Château Rieussec von 1906 -, sondern auch der "Poste de commandement Jupiter"- der Bunker, von dem aus der Präsident die Atombomben losschicken kann.

François Mitterrand beichtete einmal einem Bekannten, wie er von seinem Vorgänger, Valéry Giscard d'Estaing, den Atom-Code ausgehändigt bekam. Mitterrand ließ die goldene Kette mit der Plakette, auf der der Code eingraviert war, in die Tasche seines Anzugs gleiten. Der Anzug kam danach in die Reinigung, samt Code. "Ich befürchtete das Schlimmste", sagte Mitterrand. Er schickte einen Emissär los, der noch rechtzeitig bei der Reinigung eintraf.

Viele Präsidenten fühlten sich im Élysée mit seinen scharfen Sicherheitsvorschriften und dem strengen Protokoll eingeengt. Der Palast sei wie eine Haftanstalt, sagte Raymond Poincaré. "Hier bin ich ein Gefangener", bestätigte Georges Pompidou. Giscard d'Estaing antwortete auf die Frage, was ihm im Élysée fehle: "die Freiheit". Dennoch drängen sich wieder die Präsidentschaftsbewerber vor dem Gittertor an der Rue du Faubourg Saint-Honoré. Nicolas Sarkozy aber will partout nicht Platz machen im begehrtesten Gefängnis der Welt.

© SZ vom 21.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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