Frankreich:Ungehörte geben Laut

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Die Trikolore flattert in der Hand der Gelbwesten: Frankreich kommt auch einen Monat nach Beginn der Proteste der Gilets jaunes, hier Demonstranten im Zentrum von Paris, nicht zur Ruhe. (Foto: Chris McGrath/Getty Images)

Brennende Autos, verwüstete Straßen, Hunderte Festnahmen: Die Regierung behauptet dennoch, die Proteste der Gelbwesten unter Kontrolle gebracht zu haben.

Von Nadia Pantel, Paris

Frankreichs Regierung hatte vor diesem Wochenende so dramatisch vor der Apokalypse gewarnt, dass die neuen Bilder brennender Autos und verwüsteter Straßen schnell relativiert wurden. Es habe "deutlich weniger Verletzte, deutlich weniger Gewalt" gegeben, sagte Innenminister Christophe Castaner nach dem vierten Samstag in Folge, an dem die Gilets jaunes in großer Zahl demonstrierten. Die Bewegung der Gelbwesten sei ein Stück weit unter Kontrolle gebracht, so die Botschaft.

"Die wollen, dass wir zurück aufs Land fahren und unsere Fresse halten." Und: "Genau. Arbeiten, Steuern zahlen und still sein." Zwei Freunde, die aus Orléans zum Protest angereist sind, müssen vor den Tuilerien schimpfend ihre Schwimmbrillen abgeben. Sie haben sie dabei, um sich vor dem Tränengas zu schützen. "Wenn Sie sich schützen wollen, dann bleiben Sie zu Hause", sagt der Polizist, der ihre Taschen durchsucht. Bis zum Triumphbogen läuft man von hier aus gut 40 Minuten, doch schon jetzt beginnen die Personenkontrollen. An diesem Samstag werden allein in Paris mehr als 1000 Demonstranten vorläufig festgenommen.

"Wenn wir Miete und Essen bezahlt haben, bleibt uns am Ende des Monats nichts mehr."

8000 Polizisten sollten in der Hauptstadt dafür sorgen, dass sich die Ausschreitungen des vorhergegangenen Wochenendes nicht wiederholen; 120 000 Polizisten, Gendarmen und Feuerwehrleute sind es im ganzen Land. Der Krawall am 1. Dezember war der schwarze Samstag der Gelbwesten - aber auch ihr erster Erfolg. Als Reaktion nahm die Regierung die Ökosteuer auf Benzin und Diesel zurück, die die Protestwelle ins Rollen gebracht hatte.

Alain, der nur seinen Vornamen sagen will, steht in einer kleinen Seitenstraße, 500 Meter vom Triumphbogen entfernt, und verteilt Atemschutzmasken. In der Ferne hört man das Knallen der Tränengasgranaten. Mit einer friedlichen Demonstration rechnen die wenigsten, die heute gekommen sind. "Ich will nichts kaputt machen", sagt Alain, "aber ich habe den Eindruck, dass die Politik nur Gewalt richtig ernst nimmt." Alain ist gerade 19 Jahre alt geworden, er wohnt noch zu Hause, seine Mutter ist mit ihm allein, er arbeitet in einem Krematorium, sie als Krankenschwester. "Wenn wir Miete und Essen bezahlt haben, bleibt uns am Ende des Monats nichts mehr" - eine alte Frau neben Alain nickt zustimmend.

Die großen Themen der Gelbwesten sind dieselben geblieben: Geld und Not. Es ist eine Bewegung von Franzosen, die arbeiten und dennoch nur mühsam über die Runden kommen. Oft wirkt es, als seien all die Menschen in ihren Warnwesten selbst überrascht, dass aus ihrer Wut eine richtige Bewegung wurde. Haben sie jetzt schon gesiegt? Immerhin hat die Regierung die Steuer zurückgenommen. Alain schüttelt den Kopf: "Wir haben nicht gesiegt, wir wissen jetzt nur, dass wir viele sind. In diesen vier Wochen auf der Straße sind wir, glaube ich, viel selbstbewusster geworden."

Die Zahl der Teilnehmer an den Gelbwesten-Protesten geht zurück. Gut 130 000 Demonstranten zählte das Innenministerium am Samstag in ganz Frankreich, zum Auftakt vor drei Wochen waren sie noch knapp 300 000 gewesen. Dennoch haben diese Proteste schon jetzt deutlich mehr bewirkt als nur die Rücknahme einer umstrittenen Steuer. Sie haben gezeigt, wie alleingelassen sich große Teile des Landes fühlen. Die meisten, die sich eine gelbe Warnweste überziehen, leben in den Vorstädten und im ländlichen Raum, gehören zur unteren Mittelschicht. Ihre Meinung zählt in Paris nicht allzu viel.

Nun ist es ihnen gelungen, dass Präsident Emmanuel Macron zum ersten Mal in seiner Amtszeit ernsthaft in Bedrängnis gerät. In der vergangenen Woche zeigte sich die Regierung defensiv und chaotisch. Am Sonntag gab Außenminister Jean-Yves Le Drian seinem Präsidenten in einem Fernsehinterview Ratschläge. Macron müsse einen "neuen Sozialvertrag" vereinbaren, die Demokratie sei gefährdet.

Sylvia gehört zu denen, die am Samstag zu den Champs-Élysées laufen, um "für mehr Kaufkraft zu kämpfen", wie sie sagt. Es ist schwierig geworden auf den Demonstrationen Menschen zu finden, die mit vollem Namen Interviews geben, viele hier vertrauen den Medien so wenig wie dem Präsidenten. "Wissen Sie wie viel der für seinen Friseur ausgibt? Und für sein Schwimmbad? Das zahlen alles wir." Sylvia hat 2017 die rechtsextreme Marine Le Pen gewählt. Ob Le Pen die Bürger denn weniger kosten würde? "Immerhin ist sie nicht so arrogant", sagt Sylvia.

Marine Le Pen gilt seit Beginn der Bewegung als mögliche Profiteurin der gelben Wut, obwohl die Gelben auch vom Linken Jean-Luc Mélenchon unterstützt werden. Doch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Elabe zeigt, dass der Kampf gegen Macron der Opposition bislang kaum nützt - auch Le Pen nicht. 24 Prozent geben an, ein positives Bild von ihr zu haben, in den vergangenen vier Wochen hat sie nur einen Prozentpunkt zugelegt.

Der beliebteste Politiker ist hingegen mit 48 Prozent der zurückgetretene Umweltminister Nicolas Hulot. Am Gelbwesten-Samstag zogen allein in Paris 25 000 Menschen beim Marsch fürs Klima durch die Stadt, viele von ihnen trugen gelbe Westen. Auf einem der Banner der Demonstranten konnte man lesen: "Ende der Welt, Ende des Monats. Lasst uns das System verändern, nicht das Klima." Andere skandierten: "Gelbe Westen, grüne Westen, selber Kampf!"

Diesen Montag um 20 Uhr will Macron sich von seinem Amtssitz aus an alle Franzosen wenden. Ein Regierungssprecher warnte jedoch am Sonntagabend vor überzogenen Erwartungen.

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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