Frankreich:Kalte Wut

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"Chaotisches Vorgehen": Großdemonstration am 28. November in Paris gegen Macrons geplantes Sicherheitsgesetz. (Foto: Kiran Ridley/Getty Images)

Nach heftigen Protesten kündigt die Regierung an, ihr hochumstrittenenes Sicherheitsgesetz neu zu schreiben. Präsident Macron will den Eindruck verwischen, dass rassistische Polizeigewalt für ihn kein großes Thema ist.

Von Nadia Pantel, Paris

Die Regierungskrise, die sich am Montagabend in Frankreich in ganzer Breite auffächerte, begann am 21. November in dem Musikstudio von Michel Zecler. Dort wurde der Pariser Musikproduzent Zecler von drei Polizisten zusammengeschlagen. Die Beamten warfen anschließend eine Tränengasgranate in den Eingangsbereich des Studios und schlugen dann auf der Straße noch einmal zu. Dazu rassistische Beleidigungen, Zecler ist schwarz. Die Beamten gaben nach dem Vorfall schriftlich zu Protokoll, Zecler haben ihnen die Waffen wegnehmen wollen. Am Donnerstagnachmittag begannen Hunderttausende ein Video zu verbreiten, das diese Lüge entlarvte. Zecler hatte es mit einer Überwachungskamera aufgenommen, die er selbst installiert hatte. Das Video tauchte zu einem Zeitpunkt auf, als Frankreich bereits seit Tagen über ein neues Sicherheitsgesetz stritt, das es strafbar machen soll, Polizisten zu filmen.

Das Einlenken soll möglichst nicht zu sehr aussehen wie ein Rückzug

Präsident Emmanuel Macron überließ die Debatte seinem stramm konservativen Innenminister Gérald Darmanin. Erst als jede Redaktion Frankreichs das blutüberströmte Gesicht von Zecler gezeigt hatte, schaltete Macron sich am Freitag ein und sprach von "inakzeptablen Bildern" und einer "Schande" für das Land. Das frisch beschlossene Filmverbot erwähnte er nicht.

Drei Tage und eine Großdemonstration später gaben diejenigen Fraktionschefs, die gerade noch in der Nationalversammlung für das Sicherheitsgesetz gestimmt hatten, am Montagnachmittag eine reumütige Pressekonferenz. Christophe Castaner, Vorsitzender der Macron-Partei La République en Marche (LREM), erklärte, ein "Missverständnis habe sich in den vergangenen Tagen intensiviert". Das sogenannte Missverständnis heißt Artikel 24, es ist Teil des Sicherheitsgesetzes, das von der Nationalversammlung am 24. November in erster Lesung angenommen worden war. Artikel 24 sieht eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr vor, wenn Polizisten "mit dem Ziel, ihnen zu schaden", gefilmt werden. Journalistenverbände warnen vor dem daraus entstehenden Eingriff in die Pressefreiheit.

Man werde diesen Artikel "komplett neu schreiben", kündigte Castaner an, es handele sich "nicht um eine Streichung". Ein Manöver, das die linke Libération eine "Trickserei" nennt und der konservative Figaro "nebulös". Schließlich liegt der Text nicht mehr bei den Abgeordneten, sondern bei den Senatoren, die im Februar über das Gesetz diskutieren werden. Es sei "an der Regierung, den besten legislativen Weg zu finden", so Castaner, wie man den Artikel ändern könne.

Das Einlenken, das nicht zu sehr aussehen soll wie ein Rückzug, ist das Werk Macrons. Am Montagnachmittag versammelte Macron Fraktionsvorsitzende und Mitglieder der Regierung für eine Krisensitzung, die man ein Zusammenstauchen nennen muss. "Die Situation, in die Sie mich gebracht haben, hätte vermieden werden können" - dieses Macron-Zitat gaben Teilnehmer des Treffens direkt im Anschluss an die Medien weiter. Le Monde schrieb von der "kalten Wut" des Präsidenten.

Kurz nach dem Treffen improvisierte Castaner seine Pressekonferenz. Gleichzeitig wurde die Information verbreitet, Macron werde sich am kommenden Donnerstag in Form eines Interviews "an die Jugend" wenden. Das Ziel scheint klar: Macron will das von ihm versprochene Gleichgewicht zwischen linken und konservativen Positionen wiederherstellen. Der Streit um Artikel 24 hatte den Eindruck einer Regierung hinterlassen, für die rassistische Polizeigewalt kein großes Thema ist - während gleichzeitig ein brutaler Angriff durch Beamte das Land schockiert.

Wir ändern nicht unsere Ziele, sondern den Weg, um dorthin zu kommen, so der Innenminister

Doch auch der Kontext der Pandemie spielt eine Rolle. Als am Samstag Zehntausende Demonstranten durch Paris zogen, durften zum ersten Mal seit einem Monat wieder die sogenannten "nicht lebensnotwendigen" Geschäfte öffnen. Den Ladenbetreibern ist die Vorweihnachtszeit 2018 noch in lebhafter Erinnerung, als die Proteste der Gelbwesten Samstag um Samstag im ganzen Land die Innenstädte lahmlegten. Vor genau so einer Eskalation warnten LREM-Abgeordnete am Montag in einer internen Videokonferenz.

Während noch unklar ist, auf welchem Weg der umstrittene Artikel 24 elegant entsorgt werden könnte, steht fest, dass die Regierung inhaltlich nicht von ihren Zielen abrücken will. Er sei kein "Zahlenfetischist", sagte Innenminister Darmanin am Montag in Bezug auf Artikel 24, er sei jedoch "Fetischist, wenn es um den Schutz der Polizei geht". Le Monde zitierte einen engen Vertrauten Macrons mit den Worten, "nicht die politische Linie Darmanins" sei das Problem, sondern "sein chaotisches Vorgehen". Darmanin hatte wiederholt Maßnahmen angekündigt, die im neuen Sicherheitsgesetz nicht enthalten sind, wie zum Beispiel die Empfehlung, sich als Journalist bei der Präfektur zu akkreditieren, bevor man über eine Demonstration berichtet.

In der kommenden Woche soll im Ministerrat das neue "Gesetz gegen Separatismus" vorgestellt werden, hinter dem sich Strategien im Kampf gegen Islamismus verbergen. Teil des Gesetzes ist ein Artikel, der es unter Strafe stellt, "das Leben anderer durch die Verbreitung von Informationen aus dem Privatleben zu gefährden". Der Artikel wurde geschrieben als Reaktion auf die Online-Hetzkampagne gegen den Lehrer Samuel Paty, die mit der Ermordung Patys durch einen Islamisten endete. Dieser Artikel könnte nun die Idee von Artikel 24 des Sicherheitsgesetzes weitertragen. "Wir ändern nicht unsere Ziele, sondern den Weg, um dorthin zu kommen", heißt es aus dem Élysée.

Innenminister Darmanin zeigte sich am Montag weniger konfrontativ als in der Vorwoche. Es gäbe "vielleicht strukturelle Probleme in der Polizei", sagte Darmanin vor einem Abgeordneten-Ausschuss am Montagabend. Es sei "keine gute Idee" gewesen, die Ausbildungszeit der Polizisten zu verkürzen. Gleichzeitig wünsche er sich, "dass wir mit großer Überzeugung an der Schutzfunktion festhalten, den Artikel 24 enthalten hat".

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