Frankreich:Hintermänner des Terrors

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Ein Wandgemälde des Street-Art-Künstlers Christian Guemy erinnert in Paris an die Opfer des Anschlags. (Foto: Thomas Coex/AFP)

In Paris beginnt der Prozess um den Anschlag auf "Charlie Hebdo".

Von Nadia Pantel, Paris

Charlie Hebdo gibt sich unerschrocken. Auf der aktuellen Titelseite des Satiremagazins kann man zwei Maske tragende Kinder sehen, die sich statt Schulranzen Särge auf den Rücken geschnallt haben. "Werden Sie das Schuljahr beenden?", steht in der dazugehörigen Schlagzeile. Fünfeinhalb Jahre nach dem islamistischen Anschlag auf die Redaktion will Charlie Hebdo so bleiben, wie das Blatt immer war: derb, unverschämt, frei.

Dennoch sind die Narben tief, die der 7. Januar 2015 hinterlassen hat. Damals stürmten die Brüder Chérif und Said Kouachi das Redaktionsgebäude und töteten zwölf Menschen. Einen Tag später begann der mit den Kouachi-Brüdern befreundete Terrorist Amédy Coulibaly seine Mordserie. Er tötete am 8. Januar eine Polizistin, am 9. Januar nahm er die Kunden eines koscheren Supermarktes als Geiseln. Vier von ihnen erschoss er.

An diesen drei Januartagen begann eine Serie islamistischer Anschläge in Frankreich, die mehr als 250 Menschen das Leben kostete. Und der islamistische Terror zeigte klar seine Grundzüge: Er richtet sich gegen die Republik und ihre Repräsentanten, er richtet sich gegen die Meinungsfreiheit und die Werte der westlichen Demokratien und er richtet sich insbesondere gegen Juden.

Wie haben diese Anschläge das Land verändert? Wie das Leben der Hinterbliebenen? Und wie genau wurden sie geplant? Um diese Fragen wird es von Mittwoch an im Pariser Justizpalast gehen, dann beginnt der Prozess gegen 14 Hintermänner der Terroranschläge. Der Prozess soll bis 10. November dauern, 50 Verhandlungstage sind vorgesehen. Weil der Prozess als "historisch" gilt, wird er auf Video aufgezeichnet, das Bildmaterial wird archiviert.

Um eine vollständige Aufklärung kann es dabei allerdings nicht gehen. Die Brüder Kouachi wurden von einer Anti-Terror-Spezialeinheit erschossen, nachdem sie zwei Tage lang auf der Flucht waren. Amédy Coulibaly wurde bei der Stürmung des Supermarktes durch die Polizei getötet. Anders als die berühmt gewordenen Attentäter, ist der Name des nun Hauptangeklagten in Frankreich kaum bekannt. Ali Riza Polat gilt für die Vertreter der Anklage als "rechte Hand" Coulibalys und wird sich vor Gericht verantworten müssen. Dem nun 33-Jährigen wird vorgeworfen, bei den Anschlägen die Waffenbeschaffung unterstützt zu haben. Er wird der Mittäterschaft eines Terroraktes beschuldigt. Polat sitzt bereits seit 2015 eine Haftstrafe ab. Von den weiteren 14 Angeklagten werden nun 11 vor Gericht erscheinen. Drei weitere werden per Haftbefehl gesucht. Es handelt sich um die Brüder Mehdi und Mohamed Belhoucine, von denen vermutet wird, dass sie bei Kampfhandlungen im irakisch-syrischen Grenzgebiet umgekommen sind. Auch Hayat Boumedienne, die dritte Gesuchte, wurde lange tot geglaubt - bis sie 2019 im Bildmaterial syrischer Überwachungskameras auftauchte. Boumediennes aktueller Aufenthaltsort ist unbekannt. Sie war bis zu den Anschlägen Lebensgefährtin von Amédy Coulibaly und soll ihn unterstützt haben, seine Taten zu finanzieren. Boumedienne verließ Frankreich wenige Tage, ehe Coulibaly zur Waffe griff. Sie reiste über die Türkei ins Kriegsgebiet nach Syrien, um sich der Terrormiliz Islamischer Staat anzuschließen.

Zusätzlich zu seiner gesellschaftlichen Bedeutung stellt der Charlie-Hebdo-Prozess auch eine immense logistische Herausforderung dar. Eigentlich hätte der Prozess bereits im März beginnen sollen, er wurde wegen der Coronapandemie verschoben. Wegen der nach wie vor geltenden Abstandsregeln, die eine weitere Verbreitung des Virus eindämmen sollen, wird der Prozess während seiner zweimonatigen Dauer fast eine gesamte Etage des Pariser Justizpalastes blockieren.

Verhandelt wird im größten Saal des Gebäudes, in drei weiteren Verhandlungssälen kann der Prozess per Videoübertragung verfolgt werden. Weil verschiedene Zeugen unter Polizeischutz stehen, muss ein besonders strenges Sicherheitsprotokoll befolgt werden. 200 Nebenkläger sollen angehört werden, insgesamt sind als 80 Anwälte Teil des Prozesses. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin nahm den bevorstehenden Prozessbeginn zum Anlass, am Montag eine Anti-Terror-Einheit der Polizei in Lavallois-Perret zu besuchen. Die Beamten befänden sich "jeden Tag im Kampf gegen den Terrorismus", so Darmanin. Seit 2013 seien in Frankreich 61 Anschläge vereitelt worden, davon 32 seit 2017. Aktuell würden mehr als 8000 Personen von den Behörden überwacht, die als potenziell "terroristisch radikalisiert" gelten.

© SZ vom 01.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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