Frankreich:Gefahren des Macronismus

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Man kennt den Präsidenten, aber wofür steht eigentlich seine Partei? Sie muss dringend ihr Profil schärfen- zum Wohle der Demokratie.

Von Nadia Pantel

Rennt eine Comicfigur durch die Wand, bleibt danach ein entenförmiges oder auch hundeförmiges Loch zurück, je nachdem, ob es sich zum Beispiel um Donald Duck oder Pluto handelt. Der Durchbruch setzt voraus, dass besonders viel Energie und Wille gegeben sind. Stellt man sich nun Frankreichs einst erstarrtes Zweiparteiensystem als Wand vor, dann kann man heute immer noch die Stelle sehen, an der vor zwei Jahren Emmanuel Macron durchbrach und die politische Bühne eroberte. Nur, schaut man heute durch das riesengroße Loch, das Macron in die Wand geschlagen hat, fragt man sich: Kommt da noch jemand hinterher, seine Partei vielleicht?

Offiziell handelt es sich bei La République en Marche (LREM) um eine Bewegung. Sie wurde entwickelt von jungen, erfolgreichen Parisern, für die das Wort Partei nach verschnarchten Vorstandssitzungen klingt. LREM hingegen hatte von Anfang an ein klares Ziel, sie wollte Macron zum Präsidenten machen. Die französische Verfassung sieht vor, dass ein Präsident sich von den Abgründen der Parteipolitik fernhält und quasi auf sich allein gestellt über den Dingen schwebt. Dieses Schweben beherrscht Macron wie kein anderer in Frankreich, vielleicht sogar in Europa. Gerade erst hat er auf dem G-7-Gipfel in Biarritz gezeigt, dass er selbst bei weltpolitischen Großkrisen die Gelassenheit eines Croupiers behält. Doch je präsenter Macron wird, desto diffuser wird der Eindruck, den seine Partei hinterlässt.

Emmanuel Macron und LREM sind mit dem Versprechen gestartet, Widersprüche zu vereinen. Herausgekommen ist eine unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik, kombiniert mit feministischen, ökologischen und diversitätsfördernden Kampagnen. Macron selbst verkörpert diese Politik glaubwürdig: Er ist davon überzeugt, dass er Frankreichs Wirtschaft zum Aufschwung verhelfen wird; nationalistisches Identitätsgehabe liegt ihm fern. Doch in eine Parteilinie lässt sich der Macronismus bislang nicht übersetzen.

In einem halben Jahr wird Frankreich neue Bürgermeister wählen, bis dahin muss die Partei für mehr stehen als Macron-Begeisterung. Am Wochenende werden sich Regierung, Abgeordnete und Interessierte in Bordeaux zu einem "Campus" treffen. Halb Parteitag, halb Sommer-Uni. Wenn es für LREM gut läuft, haben am Ende Ex-Republikaner, frühere Grüne und heimatlose Sozialisten das Gefühl, eine neue Partei gefunden zu haben. Wenn es schlecht läuft, dann häufen sich die Widersprüche so sehr, dass ein einigender Sinn fehlt.

Bislang vertraut Macron darauf, dass die rechtsextreme Marine Le Pen seine innenpolitische Hauptkonkurrentin bleiben wird. Deren Radikalopposition gibt seiner oszillierenden Politik Kontur. Doch für jeden Wähler, der an demokratischen Wettstreit glaubt, ist der Zweikampf Macron gegen Le Pen frustrierend. Er könnte dazu führen, dass es bei der nächsten Präsidentschaftswahl nur die Optionen "alles kaputt schlagen" (Le Pen) und "weiter so" (Macron) gibt. Ein Mittel gegen dieses Gefühl der Ohnmacht läge darin, Macrons politische Identität zu schärfen. Für ihn könnte das schmerzhaft werden; er müsste seine Strategie aufgeben, jeder Wählergruppe gefallen zu wollen. Die Franzosen jedoch würden gewinnen: Klarheit und, mit Blick auf die politische Opposition, auch Handlungsspielräume.

© SZ vom 07.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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