Frankreich:Ein Mann packt an

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Emmanuel Macron erklärt im Élysée seine Außenpolitik - mal pragmatisch, mal prinzipienfest und zupackend bis zur Brutalität. Die Welt braucht ein Frankreich, das wieder führt, und der Präsident will diese Rolle gern ausfüllen. Ob das gelingt? Es wird spannend.

Von Stefan Ulrich

Sommerferien sind überall wichtig. In Frankreich aber haben sie einen geradezu mythischen Glanz. Das mag daran liegen, dass die Schule dieser Republik ihre Zöglinge das Jahr über besonders hart rannimmt. Deshalb konzentriert sich für viele von ihnen das Leben auf den Sommer, was bei den Erwachsenen nachwirkt. Zudem sind die Schulferien in Frankreich traumhaft lang, sie beginnen Anfang Juli und enden Anfang September. Umso härter ist die Zensur der rentrée, der Rückkehr in den Alltag. Die Fernsehsender zelebrieren sie alljährlich mit melancholischen Reportagen: Familie Dupont baut ihr Zelt ab, quält sich durch die Staus nach Paris und stopft die Urlaubskleidung in die Waschmaschine. Ferien ade - bonjour tristesse.

Auch der fast noch neue Staatschef ist nach Paris zurückgekehrt. Nur: Ihm ist keine Wehmut anzumerken. Emmanuel Macron fiebert dem Arbeitsjahr entgegen. Jetzt geht seine Präsidentschaft richtig los. Innenpolitisch muss er den Franzosen vieles zumuten - weniger Schutz im Arbeitsrecht, mehr sparen. Umso wichtiger ist es für ihn, außenpolitisch zu brillieren. Vor den in Kompaniestärke angetretenen französischen Botschaftern hat er jetzt im Élysée-Palast die Grundsätze seiner Außenpolitik verkündet.

Dabei bestätigt Macron, was sich in seinen ersten Monaten an der Macht ankündigte: Dieser Präsident ist selbstbewusst bis an die Grenze zur Arroganz, zupackend bis zur Brutalität, mal pragmatisch, mal prinzipientreu und vor allem clever. Er will Frankreich zu verlorener Größe zurückführen - und er hat verstanden, dass dies nur mit Europa gelingen kann.

Macron und die Außenpolitik - es dürfte spannend werden

"Die Welt blickt gebannt auf Frankreich", redet er seinen Diplomaten ein. Das klingt übertrieben, ist aber gar nicht so falsch. Nach dem Brexit wird Frankreich die einzige Atommacht der EU sein und der einzige Staat mit ständigem Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Seine Erfahrung und sein Einfluss in Europas problembeladenen Nachbarregionen - dem Nahen Osten und Afrika - sind groß. In der EU selbst wird ein Führungspartner und Gegengewicht des überdominaten Deutschland gebraucht. Das kann nur Frankreich sein. Macron nimmt diese Rolle an, wenn er den Bund mit Merkel sucht, zugleich aber eigene Akzente bei der Reform des Euro-Raums oder im Umgang mit Schuldenstaaten setzt.

Der gesamte Westen benötigt, da seine Schutzmacht USA entgleist, andere Nationen, die Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte verteidigen, Konflikte schlichten und globale Interessen wie den Klimaschutz durchsetzen. Auch hier steht Macrons Frankreich bereit. Der Präsident kritisiert die rechtsstaatsvergessene polnische Regierung mit gebotener Schärfe, nennt die Diktatur in Venezuela beim Namen, gibt dem Kampf gegen den islamistischen Terror Priorität und treibt die französische Vorreiterrolle in der internationalen Klimaallianz voran, ohne sich vom Ausstieg des US-Präsidenten Donald Trump entmutigen zu lassen.

Dabei agiert Macron unideologisch und pragmatisch, das ist erst einmal gut. Doch es kann in Prinzipienlosigkeit abgleiten. Ja, man muss mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad verhandeln, wenn das einen Frieden in Syrien näher bringt. Ein Partner kann dieser Massenmörder aber niemals werden. Und, ja, die Flüchtlingsfrage ist nur gemeinsam mit afrikanischen Staaten zu entschärfen. Dabei darf das Schicksal der Flüchtlinge aber nicht zur Quantité négligeable werden.

Als guter Dramaturg hinterlässt der Präsident in seiner Botschafter-Rede einen Cliffhanger. Er kündigt an, nach der deutschen Bundestagswahl zehn Vorschläge zu präsentieren, die den Menschen "Lust" auf Europa machen. Hält er Wort, wird diese rentrée richtig spannend.

© SZ vom 30.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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