Frankreich:Die gelbe Welle rollt weiter

Lesezeit: 2 min

Viele der Blockaden sind nicht angemeldet, der Polizei gelingt es deshalb oft nicht, ordnend einzugreifen. (Foto: Francois Lo Presti/AFP)

Erneut protestieren Tausende Franzosen und errichten Blockaden. Präsident Macron schweigt bislang, dafür äußert sich Premier Philippe: Man werde die Politik nicht ändern.

Von Nadia Pantel, Paris

Nach einem turbulenten Wochenende trugen Tausende Franzosen auch am Montag ihren Zorn auf die Straße. Die "gilets jaunes", die sich nach den gelben Warnwesten benannt haben, die sie bei den Protesten tragen, stellen sich gegen geplante Steuererhöhungen auf Benzin und Diesel. Am Montag blockierten 13 000 Demonstranten an 358 Stellen Straßen, Autobahnen und Tankstellen. Am Wochenende hatten 290 000 Menschen an den Warnwesten-Protesten teilgenommen.

Der Ärger über die steigenden Spritpreise hat eine landesweite Bewegung hervorgebracht, die von einem sehr grundsätzlichen Zorn auf Regierung und Präsident getragen wird. Emmanuel Macron gilt den Protestierenden als Symbol einer politischen Elite, welche die Lebensbedingungen des ländlichen Frankreich weder wahrnimmt noch ändern will. Entschlossene Proteste sind zwar etablierter Bestandteil der französischen Meinungsfindung, die Warnwesten-Bewegung lässt sich aber nicht in die gängigen Schemata einordnen.

Bei Kundgebungen für mehr soziale Gerechtigkeit stehen die Gewerkschaften normalerweise in erster Reihe - hier fehlen sie. Stattdessen errichten Bürger aus der unteren Mittelschicht, die bei Demonstrationen normalerweise zu Hause bleiben, Barrikaden am örtlichen Kreisverkehr. Gewerkschaftsführer Laurent Berger von der CFDT (Französischer Demokratischer Gewerkschaftsbund) spricht am Montag mit Blick auf die Proteste gar von einer "nicht akzeptablen Form des Totalitarismus".

Die Bilanz der ersten drei Protesttage zeichnet ein Bild zwischen Chaos, Grillfest und Revolte. Immer wieder dokumentieren Fernsehjournalisten an den Barrikaden eine extrem angespannte Stimmung. Autofahrern, die nicht anhalten wollen, wird aufs Dach getrommelt, manchmal gehen Scheiben zu Bruch. Die Konfrontation zwischen Demonstranten und Autofahrern, die sich den Warnwesten-Trägern nicht anschließen wollen, endet oft in Streit, in den schlimmeren Fällen mit Verletzten. Mehr als 400 Verletzte und eine Tote lautet die vorläufige Bilanz. Viele der Blockaden sind nicht angemeldet; der Polizei gelingt es nicht immer, ordnend einzugreifen, und so werden immer wieder Demonstranten angefahren.

Gleichzeitig fehlt der Vandalismus, der in Frankreich häufig als Begleitumstand von Demonstrationen hingenommen wird. Auch wenn immer wieder Fotos von brennenden Barrikaden gezeigt werden: Die meisten Beobachter sind sich einig, dass es sich paradoxerweise um ein vergleichsweise friedliches Protestwochenende handelt - allerdings mit einer relativ großen Zahl von Verletzten.

Frankreichs Präsident schweigt bislang zu den Protesten. Er sprach am Sonntag in Berlin vor dem deutschen Bundestag über europäische Reformpolitik und reiste danach weiter zu einem Staatsbesuch in Belgien. Dort sagte er, dass er sich äußern werde, wenn "die Zeit dafür gekommen" sei. An seiner statt kommentierte Premierminister Édouard Philippe die "gilets jaunes" am Sonntagabend in einem Fernsehinterview. Diese Arbeitsteilung zwischen Präsident und Premier beherrschen Macron und Philippe perfekt: Ersterer gibt die großen Linien vor, Letzterer steht für die reale Umsetzung gerade.

Philippe sagte also am Sonntag, dass die Regierung "die Wut gehört" habe, ihre Politik aber nicht ändern werde. Sowohl der Premier als auch Frankreichs Innenminister Christophe Castaner stellen die Bewegung in erster Linie als Sicherheitsrisiko dar. Tatsächlich kam es an einigen Barrikaden zu gewalttätigen Übergriffen durch die Westenträger. Die Demonstranten wenden sich dabei häufig gegen Minderheiten: In Cognac wurde eine schwarze Frau rassistisch beschimpft, im Département Aisne wurde eine Muslimin gezwungen, ihr Kopftuch abzunehmen. In der Nähe von Genf wurde ein schwuler Lokalpolitiker massiv bedroht und angegriffen.

Da die Protestbewegung keine Führungsfiguren, keine Struktur und auch keine klaren Forderungen hat, lässt sie sich vorläufig keinem politischen Lager zuordnen. Sowohl die konservativen Republikaner als auch der linke Jean-Luc Mélenchon sowie die rechtsextreme Marine Le Pen haben sich mit den "gilets jaunes" solidarisiert.

Am kommenden Wochenende wollen die Demonstranten ihren Zorn nach Paris tragen. Bisher war die Bewegung vor allem in kleineren Städten und in den Vororten der Metropolen aktiv.

© SZ vom 20.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: