Frankreich:Das teure Erbe des Sonnenkönigs

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Sarkozy dringt auf Reformen: Jetzt will der französische Präsident 300 Jahre alte Renten-Privilegien für bestimmte Berufe abschaffen.

Michael Kläsgen

Vermutlich ahnte Ludwig XIV. nicht, was er späteren Regenten Frankreichs aufhalsen würde, als er 1673 den Matrosen seiner Seeflotte Privilegien bei der Altersversorgung einräumte.

Sonst hätte er wohl nicht auch noch den Ballettratten der Pariser Staatsoper kurz vor seinem Ableben ähnliche Vorzüge gewährt.

Eben jene régimes spéciaux, wie man die Rentenprivilegien für manche Berufsgruppen in Frankreich nennt, sind gut 300 Jahre später zu dem brisantesten Thema geworden, die ein Staatschef in Paris angehen kann. Nicolas Sarkozy schreckte am Dienstag dennoch nicht davor zurück, ihre Reform einzuleiten. "Ich verlange von der Regierung, das System zu reformieren", sagte er im Senat. Er beauftragte Arbeitsminister Xavier Bertrand, die Reform sofort anzugehen und sich zunächst mit den Sozialpartnern zusammenzusetzen.

Ziel der Reform soll sein, das privilegierte Rentensystem, das für etwa 1,6 Millionen Beschäftigte, darunter Eisenbahner, Seeleute und Bergarbeiter gilt, der Praxis in der Privatindustrie anzupassen. Im Moment dürfen bestimmte Berufsgruppen im Schnitt mit 55 Jahren in Rente gehen und haben zusätzlich den Anspruch auf einen höheren Prozentsatz ihres letzten Gehalts als ihre privat beschäftigten Kollegen. Gern zitiert wird das Beispiel des TGV-Lokführers, der mit 50 in den Ruhestand treten darf. Pro Jahr kostet den Steuerzahler dieses Rentensystem etwa sechs Milliarden Euro.

Sarkozy forderte, dessen Anpassung schrittweise zu vollziehen, so wie es die Vorgängerregierung 2003 mit den Pensionen für die fünf Millionen Beamten gehandhabt hat. Er trat dafür ein, für jede Berufsgruppe eine separate Lösung zu finden. Im ersten Halbjahr 2008 soll die Reform in Kraft treten. Den Sozialpartnern will Sarkozy weitgehend die Verantwortung überlassen, konkrete Vorschläge auszuarbeiten. Anschließend will er ihre Verhandlungsergebnisse im besten Fall billigen und per Dekret zum Gesetz machen. Falls es zu keiner Einigung komme, so deutete er an, würde er ein Gesetz mit der Mehrheit im Parlament durchdrücken.

Sarkozy zeigte sich in der Sache hart, aber zugleich verhandlungsbereit. So enden wie Alain Juppé will in Frankreich kein Politiker. Der damalige Premierminister wollte 1995 die Rentenprivilegien abschaffen, musste aber sein Vorhaben nach dreiwöchigen Massenprotesten begraben und trat kurz darauf zurück. Eine politische Karriere war ihm daraufhin nicht mehr beschieden. Juppé gilt seither als warnendes Beispiel - auch für den selbstbewussten Sarkozy.

"Hören wir mit der Heuchelei auf"

Der ging das Thema deswegen mit ungewöhnlich viel Fingerspitzengefühl an. Wochen vor seiner Rede konsultierte er Gewerkschafter, band sie demonstrativ in seine Überlegungen ein und klopfte ab, wie weit sie zu Eingeständnissen bereit seien. Dies alles, um Demonstrationen zu verhindern. Andererseits stand er im Wort. Eine Reform der Spezialregime hatte er im Wahlkampf versprochen. Umfragen sehen dafür eine breite Unterstützung in der Bevölkerung.

Sarkozy ging jetzt über seine Ankündigungen hinaus. Er erklärte zudem, den französischen Wohlfahrtsstaat auf neue Beine stellen zu wollen. "Hören wir mit der Heuchelei auf", sagte er. "Der Sozialstaat von heute schafft mehr Ungerechtigkeit als Gerechtigkeit." Die faktisch kaum mehr existente 35-Stundenwoche will er weiter aushebeln, den Mindestlohn entpolitisieren und seine Höhe von einem unabhängigen Expertengremium festlegen lassen. Der Kombilohn soll zu einem neuen Instrument der Arbeitsbeschaffung im Niedriglohnsektor gemacht werden.

Unternehmen, die Mitarbeiter in Vorruhestand schicken, drohte Sarkozy in bestimmten Fällen höhere Steuern an. Er wiederholte, das staatliche Arbeitsamt und die privat organisierten Arbeitslosenversicherungen fusionieren zu wollen. Bislang machen sie sich die Verwaltung der Arbeitslosigkeit streitig. Jetzt soll durch die Fusion die Vermittlung von Arbeitslosen besser klappen. Arbeitnehmer und Unternehmen, die Sozialleistungen missbräuchlich beziehen, sollen künftig zeitweise ihren Anspruch darauf verlieren. Sarkozy will zudem den Kündigungsschutz lockern und den Arbeitsmarkt flexibilisieren.

© SZ vom 19.09.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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