Frankreich:Blutendes Katzenauge

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Misstrauen gegen die Mächtigen: Der Cartoonist Lewis Trondheim (rechts) im Gespräch mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Internationalen Comicfestival. (Foto: Ludovic Marin/AFP)

Boomende Branchen, verarmte Autoren und kleine Explosionen der Wut: Was das berühmte Comicfestival von Angoulême über das Frankreich der Ära Macron erzählt.

Von Nadia Pantel, Angoulême

Hoher Besuch ist angekündigt, doch dem Maskottchen geht's nicht gut. Das eine Auge ist abgeklebt und unterm Verband tropft sogar ein wenig Blut hervor. Die kleine Katze, das Wappentier des Comicfestivals von Angoulême, wird in dieser Woche zum Symbol des heftigen Knirschens zwischen den Franzosen und ihrem Präsidenten Emmanuel Macron. Dabei bemühten sich Macron und die Regierung seit Wochen darum, in Angoulême ein Freundschaftsspiel vorzubereiten. Kulturminister Franck Riester hat 2020 zum Jahr des Comics erklärt, und Macron ist der erste Präsident seit François Mitterrand, der das Festival in Angoulême besucht.

Seit 1974 treffen sich im Südwesten Frankreichs einmal jährlich Zeichner, Publikum und Verlage. Inzwischen haben sie die gesamte Stadt verändert: Straßennamen stehen in Sprechblasen, in der Fußgängerzone thront eine Statue des Tim-und-Struppi-Erfinders Hergé und von den Hauswänden grüßen Lucky Luke und die Daltons. Was für Angoulême gilt, soll laut Kulturministerium für ganz Frankreich gelten: "eine Leidenschaft, die alle vereint."

Lewis Trondheim sitzt mit Tuschkasten und Füller zwischen Bücherstapeln und malt seinen Fans Widmungen. Manche bekommen das sanft depressive Kaninchen Lapinot, andere Trondheims Alter Ego, einen hypochondrischen Vogel. Vor Jahren hat Trondheim die Katze erfunden (zu deren Augenverband gleich mehr), die heute das Maskottchen des Festivals ist. Im Comicmuseum der Stadt wird noch bis Mai eine Retrospektive seines Werks gezeigt, am Nachmittag sollte Trondheim Macron durch diese Ausstellung führen, vorher sollte er, gemeinsam mit anderen Zeichnern, mit Macron mittagessen. Was erwartet er von dem Treffen mit dem Präsidenten? "Nichts." Trondheim lacht und malt Lapinot eine grüne Wiese. Es sei ja gut, dass Macron komme, aber "ich misstraue den Mächtigen. Für mich zählen nur Taten". Wenn die Regierung ihre Kulturpolitik nicht ändert, sagt Trondheim, "dann komme ich nächstes Jahr nicht mehr nach Angoulême".

Die Hälfte der Autorinnen lebt unter der Armutsgrenze

Auch wenn Trondheim zu den Stars der Branche zählt, prangert er dieselben Missstände an, die vor allen Dingen die weniger gefeierten Autoren treffen. Die Comicbranche boomt, und die Autoren verarmen. Kurz vor Beginn des Festivals hat das Kulturministerium einen Bericht vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass 53 Prozent der Autoren weniger als das Mindesteinkommen zur Verfügung haben. Bei den Autorinnen sieht die Lage noch schlimmer aus, die Hälfte von ihnen lebt unter der Armutsgrenze. Gleichzeitig hat sich der Comicmarkt in den vergangenen zwanzig Jahren verzehnfacht, jeder dritte Franzose liest Comics, jährlich werden acht Millionen Exemplare verkauft.

Bruno Racine, früher Chef der Nationalbibliothek, hat für das Kulturministerium den finsteren Report verfasst, der eine "Verschlechterung der finanziellen und sozialen Situation der Autoren" feststellt. Racine fordert den Staat auf, mehr für die Absicherung der Künstler zu unternehmen, ihnen bei den Verhandlungen mit den Verlagen zur Seite zu stehen. Er werde manche von Racines Vorschlägen übernehmen, heißt es von Kulturminister Riester. Welche und wie viele bleibt bislang offen. "Ich bin einen Euro wert", hat eine Frau auf ein Plakat geschrieben, das sie an diesem Mittag durch Angoulême trägt. Es spielt auf die Summe an, die ihr bleibt, wenn ein Verlag eines ihrer Bücher für 15 Euro verkauft.

Es ist 13 Uhr auf dem Rathausplatz von Angoulême, eigentlich soll Riester zur Eröffnung des Festivals eine Ansprache halten. Doch die Buhrufe sind so laut, dass er es gar nicht versucht. 200 Gewerkschafter, die gegen die Rentenreform demonstrieren, und Comiczeichner, die ein Ende der finanziellen Unsicherheit fordern, drängen zur Bühne. Die Feierstunde wird abgebrochen, stattdessen skandieren die Demonstranten im Chor: "Macron, hau ab!" Auf einigen T-Shirts kann man Trondheims Katze sehen. LBD 2020 steht neben der Zeichnung. Bande dessinée (BD) ist das französische Wort für Comics, LBD der Name der Waffe, mit deren Gummigeschosse die französische Polizei im vergangen Jahr Dutzende Demonstrierende am Auge verletzte. "Uns vereinen nicht die Comics", sagt einer der Demonstranten, "uns vereint der Kampf gegen die Regierung."

Am Nachmittag ist das Bild der bandagierten Katze auf einmal berühmt. Macron selbst hat es lächelnd in die Kameras gehalten. Der Zeichner Jules hat dem Präsidenten ein "LBD-2020"-Shirt geschenkt, beide posieren für ein Foto. Wenige Twitter-Minuten später fragt sich Frankreich, was das soll. Die präsidiale Erklärung lautet, so einer seiner Berater: Macron habe das Geschenk angenommen, weil man in einer Demokratie die Meinung anderer respektieren müsse. Polizisten, die sich nicht an Gesetze halten, müssten bestraft werden, das Wort "Polizeigewalt" wolle der Präsident jedoch nicht verwenden. Nach zwei Monaten Streik, Demonstrationen und Kampfstimmung braucht es in Frankreich nicht mehr als ein Foto, damit auf allen Seiten die Wut explodiert. Vom heiteren Präsidenten mit lädierter Katze fühlen sich Polizeikritiker ebenso provoziert wie die Polizeigewerkschaften.

Es wird schon wieder dunkel, als für Macron der vergleichsweise unkomplizierte Ausklang des Tages beginnt. "Bonsoir, Monsieur le Président!", gut zwei Stunden haben 30 Grundschüler auf ihren großen Auftritt gewartet und Spalier gestanden. Trondheim hat den Kindern die Wartezeit verkürzt, indem er mit ihnen die La Ola geübt hat. Beim Rundgang durch diese Ausstellung zeigt Trondheim seine ersten Bilder aus den 80er Jahren. "Damals waren Sie noch gar nicht geboren", sagt er zu Macron. Auf einer Zeichnung interviewt ein Reporter den Trondheim-Vogel. "Es gibt immer mehr private Comicschulen, und gleichzeitig schwinden die Chance auf eine Karriere, was sagen Sie dazu?" Der Vogel antwortet: "Lieber so, als dass die jungen Leute Börsenmakler oder Politiker werden."

© SZ vom 01.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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