Frankreich:Anleitung zum Salongespräch

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Mit seinem Brief an die Franzosen will Macron die Wut in einen Dialog umlenken. Was der bringt, ist völlig offen.

Von Nadia Pantel, Paris

Losgelöst: Eine Macron-Puppe fliegt durch die Luft, hochgeschleudert von Demonstranten am Samstag in Nizza. (Foto: Eric Gaillard/Reuters)

Emmanuel Macron ist der jüngste Präsident der Franzosen - und gibt sich gern besonders altmodisch. Andere Präsidenten mögen ihre Bürger via Twitter anbellen, Macron schreibt ihnen lieber einen Brief. Das ganze Wochenende habe man den 41-Jährigen nicht stören dürfen, heißt es aus Élysée-Kreisen. Er habe sich ganz auf die Worte konzentriert, die er dann am späten Sonntagabend veröffentlichte.

Ein Brief ist altmodisch im besten Sinne.

Er signalisiert, dass der Absender sich Zeit genommen hat. Wer einen Brief schreibt, will nicht mal eben schnell etwas klären, Briefschreiber wollen Nähe herstellen, sich offenbaren - und im Idealfall dem Empfänger zeigen, dass sie ihn verstanden haben. Macron beginnt mit Komplimenten, Frankreich sei eine der "brüderlichsten und egalitärsten Nationen". Wie könne man nicht stolz darauf sein, Franzose zu sein, fragt der Präsident. Um im Folgenden zu erklären, dass er die Ungeduld all derer teilt, die wollen, dass Frankreich noch gerechter wird.

Auf einer rein praktischen Ebene ist Macrons Brief eine Diskussionsanleitung. Er schlägt den Franzosen eine Sammlung von Fragen vor, die sie in den kommenden Wochen debattieren sollen. Auf der taktischen Ebene ist dieser Brief der Versuch, die Proteste der Gilets jaunes und die durch sie entstandene Staatskrise zu beenden. Zudem ist das Schreiben ein Versuch, die vielen offenen Konflikte innerhalb eines staatlich gesetzten Rahmens zu sammeln.

Die Franzosen sollen zeigen, dass sie ein Volk sind, das "keine Angst hat, zu sprechen, sich auszutauschen, zu debattieren", schreibt Macron. Seine Zeilen sind der Auftakt zu der sogenannten "großen nationalen Debatte", die am Dienstag beginnen soll. Dabei hat die Bewegung der sogenannten Gelbwesten, jenseits der Krawalle in den großen Städten, längst dazu geführt, dass Zehntausende Bürger an Kreisverkehren und Straßensperren darüber debattierten, wie sie leben und wie sie lieber leben würden. Macrons große Debatte soll also kein schweigendes Land zum Sprechen bringen. Sie soll ein wild diskutierendes Land auf Salonlautstärke dimmen.

Viele der Fragen, die Macron den Franzosen vorschlägt, knüpfen direkt an Forderungen der Gilets jaunes an: Welche Steuern sollen gesenkt werden? Soll man Bürgerreferenden einführen? Wie kann der Staat besser auf die Bedürfnisse der Landbevölkerung eingehen? Wer soll die Energiewende finanzieren? Soll die Zahl der Abgeordneten reduziert werden?

Frankreichs Bürgermeister sollen im ganzen Land Diskussionen organisieren

Vier Themenbereiche sind in Macrons Brief vertreten: Steuergerechtigkeit, Organisation von Staat und Kommunen, ökologischer Wandel und Formen demokratischer Mitbestimmung. Auf viele seiner Fragen hat er bereits Antworten gegeben, in seinem Wahlprogramm und durch seine Politik. Die Herausforderung der großen nationalen Debattierübung wird nun darin liegen, dass die Bürger nicht das Gefühl bekommen, Macron und seine Leute machten - unter dem Vorwand zuzuhören - einfach nur Wahlkampf.

Die Opposition hat den Brief und die Debatte bereits für gescheitert erklärt. Éric Ciotti von den Republikanern kommentiert auf Twitter, dass Macron "wie immer viel Aufregung rund um Nichtigkeiten mache". Der rechte Nicolas Dupont-Aignan von Debout la France befindet lakonisch: "Genug mit dem Blabla." Seitens der Linken hält der ehemalige sozialistische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon fest: "Der Brief bestätigt unsere Sorgen. Der Präsident der Republik versucht, sich aus einer schlechten Lage herauszumanövrieren. Er versucht nicht, auf die Franzosen einzugehen."

Tatsächlich ist einen Tag vor Beginn der großen Debatte noch unklar, wie genau dieses Experiment der Willensfindung ablaufen soll. Zwar ist sicher, dass Macron auf die Unterstützung der Bürgermeister im ganzen Land setzt, die in ihren Gemeinden Diskussionsrunden organisieren und die Beschwerden der Bürger sammeln sollen. Diese Kooperation mit den Bürgermeistern ist für Macron nützlich und wichtig, weil seine Bewegung bislang in den Regionen nur schwach verankert ist, was als eines der großen Probleme seiner Amtszeit gilt. Doch selbst wenn alle Bürgermeister kooperieren, bleibt offen, was am Ende aus den Debatten entstehen soll. Einerseits schreibt Macron, dass er von seinen bereits umgesetzten Reformen nicht abweichen wird. Er halte fest an dem Programm, für das er gewählt worden sei. Andererseits will er direkte "Konsequenzen" aus dem Bürgerwillen ziehen. Die Debatte sei "weder ein Referendum noch eine Wahl". Was sie aber sein soll, wird sich erst zeigen müssen.

© SZ vom 15.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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