François Bayrou vor der Präsidentschaftswahl:Französische Kassandra

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Im Kampf um die französische Präsidentschaft gibt sich Zentrist Bayrou als Kandidat der Wahrheit im Meer von Lügen, er sieht das Land in einem kritischen Zustand. Der eigensinnige Liberale erreicht hohe Sympathiewerte, viele Bürger unterstützen seine politischen Ziele. Nur wählen will ihn kaum jemand.

Stefan Ulrich, Paris

François Bayrou gibt die Kassandra in dieser französischen Präsidentschaftskampagne. Das Land schlittere in die schwerste Krise seit mehr als einem halben Jahrhundert, warnt der 61 Jahre alte Kandidat der Zentrumspartei "Mouvement Démocrate" (MoDem) bei seinen Wahlkampfauftritten. "Frankreich ist in einem kritischen Zustand."

François Bayrou im Präsidentschaftswahlkampf: Viele Franzosen glauben den düsteren Prognosen des Liberalen,. (Foto: AFP)

Wegen der hohen Altschulden und der Neuverschuldung stünden das Sozialsystem und das republikanische Modell auf dem Spiel. "In gewisser Weise sind wir in einer noch gefährlicheren Lage als Italien." Angesichts dieser Situation geriert sich der Zentrist als Kandidat der Wahrheit in einem Meer von Lügen.

Seine Gegner, der konservative Präsident Nicolas Sarkozy und der Sozialist François Hollande, verführten das Volk mit Versprechen, die sie nach der Wahl nie halten würden, kritisiert Bayrou. Sie stellten milliardenschwere neue Staatsausgaben in Aussicht, von denen sie nicht einmal einen Cent bezahlen könnten. "Sarkozy und Hollande täuschen die Franzosen." Zwischen den beiden Favoriten herrsche das stillschweigende Einverständnis, die Lage zu beschönigen.

Die Kassandrarufe finden durchaus Gehör im Volk. Immerhin war es der südfranzösische Bauernsohn Bayrou, der bereits im Wahlkampf 2007 eine Schuldenkrise voraussagte. Heute befürchten die Bürger, er könnte mit seinen düsteren Prognosen wieder recht behalten.

Ein Sympathieträger, den wenige wählen wollen

In Umfragen unterstützen viele seine Forderungen nach einer Moralisierung des öffentlichen Lebens, einer konsequenten europaweiten Entschuldung und einer gezielten Industriepolitik zu Gunsten des "Made in France" - pardon: "Produire en France". Zudem erreicht Bayrou, der als integer, realistisch und europafreundlich gilt, höchste Sympathiewerte. Sein Problem ist nur: Wählen möchten ihn die meisten Franzosen nicht.

Vor fünf Jahren hatte der eigensinnige Liberale mit 18,6 Prozent noch den dritten Rang hinter Sarkozy und der Sozialistin Ségolène Royal erreicht. Heute werden ihm nur noch zehn Prozent vorausgesagt. Ein Grund dafür liegt darin, dass das Präsidialsystem zur Rechts-links-Polarisierung neigt. Ein Mann der Mitte hat es schwer.

Zudem verfügt Bayrou nur über eine kleine Partei, während Sarkozys Gaullisten und Hollandes Sozialisten mächtige Apparate stellen. Auch mag es sein, dass sich der Mahner, der zum dritten Mal für die Präsidentschaft kandidiert, in der öffentlichen Meinung abgenutzt hat.

Bayrou tut dennoch, als ob er an seinen Sieg glaube und es ihm nichts ausmache, dass am Wochenende zu den Veranstaltungen seiner Hauptgegner Zehntausende strömten, während er selbst in Marseille gerade mal 1700 Anhänger zusammenbrachte. "Je größer die Menge, desto größer ist die Lüge und desto schlimmer wird die Enttäuschung", spottete er am Montag im Sender Europe 1.

Auch wenn Bayrou bei der Wahl am kommenden Sonntag wohl klar unterliegen wird, hat er längst nicht alles verloren. Sein Stimmenreservoir von etwa zehn Prozent könnte den Ausschlag geben, ob Sarkozy oder Hollande die anschließende Stichwahl gewinnt. Entsprechend heiß wird der mögliche Königsmacher umworben, insbesondere vom Lager des Präsidenten.

Gefolgsleute Sarkozys wollen Bayrou mit dem Amt des Premiers ködern. Der Präsident selbst verspricht für den Fall seiner Wiederwahl eine Regierung der nationalen Einheit, was auf Bayrou abzielt. Auch Hollande macht dem Zentristen Avancen, wenn auch dezenter.

Bayrou selbst gab vor fünf Jahren keine Empfehlung für die Stichwahl ab. Was er diesmal tun wird, hält er noch geheim. Er versichert nur, für keine billigen Manöver und Postenschachereien zur Verfügung zu stehen.

Kraft der Mitte

Seine Gefolgsleute in der MoDem-Partei betonen, ihr Kandidat werde in jedem Fall künftig eine Schlüsselstellung einnehmen. Weder Sarkozy noch Hollande könnten alleine eine Regierungsmehrheit erlangen, ohne sich von den extremen Parteien auf der Rechten und Linken - dem Front National und dem Front de Gauche - abhängig zu machen. Eine stabile Mehrheit lasse sich nur in der Mitte bilden.

Eines hat Bayrou mit Sarkozy und Hollande gemeinsam: Er wollte schon als Schüler Präsident werden. Mit 34 Jahren schaffte er es zum Abgeordneten, mit 41 zum Minister, mit 47 zum Parteichef der liberal-christdemokratischen UDF. Heute führt er den kleinen MoDem, aus dem er eine große Kraft der Mitte machen will.

Sein Ziel ist es, den Rechts-links-Dualismus aufzubrechen und das Parlament zu stärken. Das schafft er womöglich am besten, wenn er sich nach dem ersten Wahlgang Gaullisten wie Sozialisten verweigert. Über Sarkozy und Hollande sagt er: "Ich habe den Eindruck, sie sehen die Welt anders als ich."

© SZ vom 17.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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