Fotorealismus:Urlaub in den leuchtenden Illusionen des Alltags

In einem Land vor unserer Zeit: Die Deutsche Guggenheim Berlin zeigt amerikanische Fotorealisten der siebziger Jahre.

Jens Bisky

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Viel zu selten tut uns die Wirklichkeit den Gefallen, so zu strahlen, als habe sie sich auf königlichen Besuch vorbereitet. Wo, bitte, glitzert das Chrom, leuchten die Ladenschilder, blitzen die Schaufenster in heiterster Weise? Doch wohl bloß in der Kunst und besonders eindrucksvoll auf den Gemälden, die man mit einem Behelfsausdruck "fotorealistisch" nennt. 32 von ihnen kann man jetzt in der Deutschen Guggenheim Berlin besichtigen. Die Ausstellung "Picturing America" zieht den Besucher wie mit Zauberschlag in eine andere Welt - fernab von Märzwetter und Krisenticker.Ende der sechziger Jahre revoltierten mehrere junge Künstler gegen die Routinen des Betriebs, gegen den Kult des Ungegenständlichen, aber ebenso gegen die Marketingstrategien der Pop Art. Sie verließen, so glaubten kopfschüttelnd Zeitgenossen, den Pfad der Moderne, malten figurativ, schufen naturgetreu erscheinende Bilder der sie umgebenden Wirklichkeit. Sie nahmen Fotografien zur Hand - Schnappschüsse der amerikanischen Lebenswelt - und kopierten diese.Text: Jens Bisky/SZ vom 18.03.09/irupDon Eddy, Untitled (Volkswagen), 1971, Detail /Foto: © Don Eddy/© MUMOK, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Vienna, Leihgabe der Österreichischen Ludwig Stiftung/© Deutsche Guggenheim

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Bereits im 19. Jahrhundert hatten Maler zur Kamera gegriffen und sich ihrer als eines Hilfsmittels bedient; die jungen Amerikaner nun - Robert Bechtle, Robert Cottingham, Don Eddy, Richard Estes oder Chuck Close - wollten ihre Vorlagen gar nicht verschwinden lassen. Im Gegenteil: Das vollendete Werk sollte wiederum an eine Fotografie erinnern. Das Verfahren hat manche damals verunsichert. Und es ist dann viel Scharfsinn auf den Nachweis verwendet worden, dass diese Werke weder reaktionär noch naiv seien.Ralph Goings, McDonalds Pickup, 1970, Detail/Foto: © Ralph Goings/ © Deutsche Guggenheim

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Der Streit um die Reinheit der Leere muss den Besucher dieser ungeheuer amüsanten Ausstellung nicht kümmern. Ein Meisterwerk wie Richard Estes' "Telephone Booths", 1967, bedarf keiner theoretischen Krücken, keines kritischen Kommentars - es schlägt den, der Augen hat, sich des Lichts zu erfreuen, unmittelbar in den Bann: durch elegante Sinnlichkeit, durch kompositorische Raffinesse. Das ist Trompe-l'Oeil-Malerei bei Gelegenheit urbaner Sujets. Und sie lockt den Betrachter in ein Labyrinth aus Natur und Kunst, Wirklichkeit und Schein, in einen Irrgarten des Glanzes und der Spiegelungen, in dem man sich höchst vergnügt verlieren kann.Das Gemälde ist rasch populär und vielfach abgebildet worden. Aber mehr noch als überhaupt gilt im Falle der Fotorealisten das Anschauungsgebot: Man muss das Original betrachten, um dem Witz und der Schönheit auf die Spur zu kommen. Ein Gemälde, das Foto sein will, als Foto anzuschauen, macht nur halb so viel Spaß. Meist sieht man dann nicht, dass die Spiegelungen in den unwirklich blank geputzten Rahmen der Telefonzellen so aussehen, als habe der Geist Gustav Klimts ihnen Leuchtkraft und Farbe verliehen.Richard Estes, Supreme Hardware, 1974, Detail/Foto: © Richard Estes/© Deutsche Guggenheim

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An der Bezeichnung "Fotorealismus" - auch "Hyperrealismus" - stört das Wort "Realismus", das erstens zu viele und zweitens zu viele irrige Vorstellungen mit sich führt, als gehe es um ein Abschreiben der Natur. Kunst bezieht sich auf Kunst; dass Bilder im Regelfall von anderen Bildern handeln, ist selten so offensichtlich wie hier. Und wo wirkten die Kaugummis so bunt und süß wie auf "Gum Ball No. 10 'Sugar Daddy'" von Charles Bell? Es mag ja sein, dass sich in gut gewienerten Radkappen die Landschaft spiegelt, aber wir sehen es erst richtig, seit Don Eddy es 1971 gemalt hat. Was diese Künstler von ihren Vorgängern und Mitlebenden in erster Linie unterscheidet, ist ihre ungeheure Lust am Blick, am Hinschauen. Reflexion bedeutet hier nicht Nachdenken, sondern eine Tat des Lichts.Charles Bell, Gum Ball No.10 "Sugar Daddy", 1975, Detail/Foto: © Charles Bell/Kristopher McKay/© Deutsche Guggenheim

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Der New Yorker Kunsthändler Louis K. Meisel hat, weil ein Etikett hilfreich schien, im Jahr 1969 den Begriff "Fotorealismus" gefunden. Ihm verdanken wir auch einige Grundsätze der neuen Richtung: Die Kamera muss eingesetzt werden, um Informationen zu sammeln. Sie ersetzt Skizzen und Imagination. Mit mechanischen Mitteln war das Bild auf die Leinwand zu übertragen. Man bediente sich dazu unterschiedlicher Techniken, der Diaprojektion oder des Rasters. Richard Estes nutzte gern mehrere Aufnahmen eines Motivs.Der Maler, so eine weitere Regel, sollte auf jeden Fall in der Lage sein, das Gemälde fotografisch erscheinen zu lassen. Auch wer der hier grell dargestellten Konsumwelt skeptisch gegenübersteht, wird die Sorgfalt der Ausführung registrieren. Es braucht viel Zeit für ein solches Werk, mehr als vier oder fünf, heißt es, schaffe man nicht im Laufe eines Jahres.Chuck Close, Klaus, 1976, Detail/Foto: © Chuck Close/© Deutsche Guggenheim

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Auf der Documenta 5 (1972) präsentierte Harald Szeemann die Fotorealisten dem europäischen Publikum. In Berlin sind zehn damals eigens angefertigte Lithographien zu sehen. Wenn auch vieles dafür spricht, in erster Linie die Kunstanstrengung zu bewundern, so verdanken die Gemälde einen großen Teil ihres Reizes auch den Sujets, die längst zum allgemein-westlichen Vorstellungshaushalt gehören: New Yorker Szenerien, Autos, Motorräder, Fast-Food-Restaurants, Cowboyhüte.Robert Bechtle, Foster's Freeze, Escalon, 1975, Detail/Foto: © Robert Bechtle/ © Deutsche Guggenheim

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Der neue Direktor der Solomon R. Guggenheim Foundation, Richard Armstrong, war zur Eröffnung nach Berlin gekommen. Er hat die Gelegenheit genutzt, mit Kuratoren zu sprechen, um sein Ziel einer wirklichen Zusammenarbeit der Filialen - New York, Berlin, Bilbao, Venedig und demnächst auch Abu Dhabi - zu erreichen. "Picturing America" mag wie eine beinahe nostalgische Beschwörung vergangener Größe wirken. Krisen und Niederlagen hatten die USA auch damals zu verkraften, aber die Bilder zeugen vom großen Vertrauen in den eigenen Alltag, die eigene Lebensart, die auf ihnen heroisiert wird.In einem der Gründungstexte der Moderne, in den "Confessions of an English Opium-Eater", berichtet Thomas de Quincey, dass man unter Drogeneinfluss nichts Neues sehe, alles Vertraute aber intensiver, klarer wahrnehme. Ein Gefühl dieser Art ergreift den Besucher der Ausstellung. Die Künstler aber, denen er das verdankt, sollen, sagt man, sehr fleißig und abstinent gearbeitet haben. Kein Nikotin, kein Alkohol."Picturing America", bis 10. Mai. Deutsche Guggenheim Berlin; Info: www. deutsche-guggenheim.deRalph Goings, Airstream, 1970, Detail/Foto: © Ralph Goings/© MUMOK, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Vienna, Leihgabe der Sammlung Ludwig, Aachen/© Deutsche Guggenheim

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