Flüchtlinge:Unerhörter Zweifel

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Nur noch wenige geflüchtete Syrer dürfen ihre Familien nach Deutschland holen. Die Integrationsbeauftragte findet das schlecht. Sie behält aber ihre Kritik für sich - nach einer "intensiven Debatte" mit dem Innenministerium.

Von Bernd Kastner, München

Als die Sache erledigt ist, meldet die Referatsleiterin im Innenministerium an ihre Kollegen: "Die Kuh ist vom Eis." Das Haus von Thomas de Maizière (CDU) hat sich gegen die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), durchgesetzt.

Die "Kuh" ist ein Streit um den Status Zehntausender syrischer Flüchtlinge, der in den Akten versenkt werden sollte. Immer mehr Bürgerkriegsflüchtlinge erhalten nur noch subsidiären Schutz. Das hat weitreichende Folgen, vor allem für den Familiennachzug. Er ist für diese Gruppe noch bis März 2018 ausgesetzt, mit oft dramatischen Auswirkungen für Eltern und Kinder. Erhielt Anfang 2016 nur gut ein Prozent der geflüchteten Syrer, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) persönlich angehört wurden, den im Vergleich zum Status als Flüchtling gemäß Genfer Konvention schlechteren subsidiären Schutz, waren es im August und September mehr als 73 Prozent. Dazwischen liegt das Asylpaket II mit diversen rechtlichen Verschärfungen und dem politischen Ziel, den Zuzug einzudämmen.

Die Entscheidungspraxis im Bamf gefällt Özoğuz, der Staatsministerin im Kanzleramt, gar nicht. Diese Kritik wäre jedoch untergegangen, hätte sich nicht Ulla Jelpke, die Asylexpertin der Linken, interne Papier aus dem Bundesinnenministerium (BMI) kommen lassen, ganz offiziell via Informationsfreiheitsgesetz. Aus dem Schriftverkehr im BMI lässt sich der Streit zwischen Özoğuz' Büro und dem Ministerium nachzeichnen.

Am Anfang stand eine Kleine Anfrage der Linken: Wie denn die Integrationsbeauftragte den "enormen Anstieg" der Zahl der nur noch subsidiär Geschützten bewerte. Die offizielle Antwort, veröffentlicht als Bundestagsdrucksache, ist nichtssagend: Özoğuz beobachte die Folgen der Entscheidungspraxis auf die Flüchtlinge "aufmerksam" und stehe "im Austausch mit den zuständigen Stellen". Was die Antwort verschweigt: Dass sie bereits das Ergebnis eines solchen "Austausches" mit dem Innenministerium ist. In einer ersten Version hatte das Özoğuz-Amt offenbar noch heftige Kritik am Bamf geäußert, das den schlechteren Status für immer mehr Syrer damit erklärt, dass sie in persönlichen Anhörungen inzwischen "vermehrt Bürgerkriegsschicksale und keine individuelle Verfolgung vortragen würden". Ein Passus, in dem Özoğuz "Zweifel" an der Darstellung des Bamf äußert, findet sich in den BMI-Unterlagen - handschriftlich durchgestrichen. Die Botschaft des Ministeriums: So nicht! Kritik am Bamf ist Kritik am übergeordneten Innenministerium. Es habe eine "intensive Debatte" zwischen BMI und dem Amt der Integrationsbeauftragten gegeben, schreibt eine Ministeriale intern: "Es gelang, einige besonders kritische Formulierungen zu streichen". Der ursprüngliche Text, heißt es dort, habe "offen die Rechtmäßigkeit des Bamf-Handelns" infrage gestellt.

"Das ist schäbig, menschenrechtswidrig und behindert die Integration"

Im Hause Özoğuz versucht man in einer Stellungnahme für die Süddeutsche Zeitung den Eindruck zu zerstreuen, eingeknickt zu sein: Nie habe man generell die Rechtmäßigkeit angezweifelt. Ihre kritische Haltung habe die Integrationsbeauftragte ja auch in ihrem Lagebericht im Dezember dargestellt. Das ist ein Werk von gut 700 Seiten, und tatsächlich ist auf den Seiten 467 bis 472 das Thema angeschnitten. "An ihrer kritischen Haltung hat sich nichts geändert", teilt eine Özoğuz-Sprecherin jetzt mit. Das klingt nach andauerndem Streit in der Bundesregierung. Diesem Eindruck tritt wiederum das BMI entgegen - mit dem Hinweis, dass das Amt der Integrationsbeauftragten zwar beim Bundeskanzleramt eingerichtet, "aber nicht Teil der Bundesregierung" sei. Außerdem sei es "durchaus nicht ungewöhnlich", dass Antworten auf Bundestagsanfragen abgestimmt würden. Das BMI nehme die Meinung der Integrationsbeauftragten "zur Kenntnis".

Die Kontrahenten spielen den Ball weiter an die Gerichte, wo Zehntausende Klagen von Syrern gegen die Bamf-Entscheidungen laufen. Die Integrationsbeauftragte verweist auf die Verwaltungsgerichte, die in den meisten Fällen den Syrern recht gegeben haben. Das BMI erwähnt die Oberverwaltungsgerichte, weil die wiederum die harte Haltung des Bamf bestätigt hätten. Eine letztinstanzliche Entscheidung steht aus, unzählige Bürgerkriegsflüchtlinge bangen um ihre Verwandten.

Die Linken-Abgeordnete Jelpke hat ihr Urteil gefällt: "Die massive Abdrängung der syrischen Flüchtlinge in den subsidiären Schutzstatus verfolgt das politische Ziel, den Familiennachzug zu ihnen zu unterbinden und weitere Flüchtlinge vom Kommen abzuschrecken. Das ist schäbig, menschenrechtswidrig und behindert die Integration der bereits hier lebenden Angehörigen massiv." Unterstützung erhält sie vom Caritasverband der Diözese München und Freising. Caritaschef Hans Lindenberger kritisiert die Begrenzung des Familiennachzugs als "besonders menschenunwürdig" und fordert, dass es allen Flüchtlingen mit Bleiberecht möglich sein müsse, Ehepartner und Kinder nachzuholen "und als Familie zu leben".

© SZ vom 20.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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