Flüchtlinge in Deutschland:Willkommen

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Die Republik ächzt hörbar unter dem Druck, Zehntausenden ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Noch gelingt das irgendwie. Aber die Schwierigkeiten werden größer. Nachrichten aus einer Sommerwoche.

Sie kommen über das Mittelmeer oder die Straßen Südosteuropas, und es sind Tausende. In diesem Sommer suchen so viele Menschen Zuflucht in Deutschland wie seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr. Allein Nordrhein-Westfalen hat in dieser Woche 5300 neue Flüchtlinge gezählt. Fast 180 000 Menschen haben in den ersten sechs Monaten einen Antrag auf Asyl gestellt, im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es noch knapp 70 000. Flüchtlingsheime sind überfüllt, Städte und Landkreise stellen Zelte auf und schieben Betten in Turnhallen. Es gibt Proteste, Angriffe auf Aylunterkünfte - aber auch viel Hilfsbereitschaft. Was geschieht an den Orten, wo die Flüchtlinge ankommen? Nachrichten einer Sommerwoche in Deutschland.

In München nimmt ein neues Ankunftszentrum die Arbeit auf. Ausgelegt ist das Zentrum auf durchschnittlich 350 Ankommende täglich. Seit Wochen schon treffen hier aber jeden Tag 400 bis 600 Menschen ein, zwischen Donnerstag und Freitag sind es mehr als 700.

Die Dortmunder Erstaufnahmestelle schließt wegen Überfüllung. Sie ist auf 350 Menschen ausgerichtet, es befinden sich aber 570 auf dem Gelände. Am nächsten Tag macht sie wieder auf.

Die Stadtverwaltung von Mönchengladbach muss binnen Stunden Räume für weitere 150 Flüchtlinge finden. Sie kommen im Theater im Nordpark und in einem ehemaligen Aldi-Supermarkt unter.

Die Stadt Aachen lässt in den Klassenräumen des Inda-Gymnasiums Betten aufstellen. 300 Flüchtlinge sollen hier schlafen. Noch sind Sommerferien in NRW.

In Taufkirchen bei München wird auf einer Zirkuswiese eine Traglufthalle als neues Flüchtlingsquartier aufgebaut. Bis zu 300 Menschen sollen in dieser mobilen, aufblasbaren Unterkunft leben, die etwa so groß ist wie ein halbes Fußballfeld. Landrat Christoph Göbel (CSU) rechnet vor, dass seine Behörde ohne die Aufblasbauten sieben bis zehn Dreifachsporthallen hätte beschlagnahmen müssen.

Im niedersächsischen Northeim bieten Bürger nach einem Aufruf des Landkreises 100 Wohnungen für Flüchtlinge an.

Der Gründer der Hamburger Restaurantkette Block House, Eugen Block, stellt seine ehemalige Firmenzentrale im Stadtteil Barmbek für Flüchtlinge zur Verfügung.

Ein privater Investor will in einem Gewerbegebiet im oberbayerischen Grafing eine Unterkunft für 135 Flüchtlinge bauen und verpachten.

Die Lübecker Bürgerschaft stoppt den Verkauf eines Gebäudes zum Bau einer Erstaufnahmeeinrichtung. Vorher hatte es Proteste gegeben. Im Stadtteil Kücknitz war eine im Bau befindliche Unterkunft angezündet worden.

Michael Adam (SPD), Landrat im niederbayerischen Regen, erklärt für den Landkreis einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge. Bei weiteren Zwangszuweisungen von Asylbewerbern werde er "die betroffenen Menschen mit einem Reisebus auf das Gelände des bayerischen Landtags in München verbringen lassen", droht er. Hintergrund: Der Petitionsausschuss im Landtag war Anwohnern entgegengekommen, die gegen eine Gemeinschaftsunterkunft für 120 Asylbewerber protestiert hatten.

Noch ist Platz hier: ein Mädchen aus Mazedonien in einer provisorischen Asylunterkunft in Berlin. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Die Stadt Grevenbroich plant eine Info-Veranstaltung über ein Containerdorf am Ortsrand. Bürger geben an, dass sie sich vor rechtsradikalen Übergriffen fürchten, wenn die Flüchtlinge einziehen.

Bei einem Bürgerforum in Heidelberg wird Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) ausgebuht und ausgepfiffen. Sie hatte in einem Interview gesagt, es sei für Anwohner einer örtlichen Notunterkunft offenbar ein Problem, dass "nun plötzlich so viele dunkle Köpfe auftauchen".

Im Münchner Stadtteil Milbertshofen fürchten sieben Familien mit geringem Einkommen um ihre Wohnungen und gründen eine Bürgerinitiative. Ihr Haus soll dem Neubau einer Unterkunft für bis zu 170 Flüchtlinge weichen. Ersatzwohnungen für die 45 Menschen bietet die Stadt nicht an.

Der Bürgermeister eines kleinen Orts in Niederbayern meldet sich krank. Täglich werden ihm neue Flüchtlinge zugewiesen, und er kann einfach nicht mehr. Ihm setzt der Stress zu, gegen viele Widerstände im Ort Notquartiere finden zu müssen.

Die Stadt Mettmann bei Düsseldorf entschuldigt sich für ein "unsensibel" formuliertes Schreiben ihres Kämmerers Reinhold Salewski. Der hatte in der Vorwoche eine Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuer unter anderem mit höheren Kosten für Asylbewerber begründet.

Auf dem Münchner Marienplatz ruft Lutz Bachmann: "Bravo, Herr Seehofer!" Der Pegida-Gründer aus Dresden behauptet, der bayerische Ministerpräsident sage jetzt zu Asyl exakt das, was Pegida schon im vergangenen Jahr gefordert habe.

Rostocks Sozialsenator Steffen Bockhahn (Linke) schlägt vor, mit den Mitteln, die für das Betreuungsgeld vorgesehen waren, unbegleitete minderjährige Flüchtling zu unterstützen. Er erhält Morddrohungen.

Mit Steinen bewerfen Jugendliche im sachsen-anhaltinischen Halberstadt Versorgungszelte für Asylsuchende. Drei Nächte später stellt die Polizei drei Männer, die sich nahe einer Notunterkunft für Flüchtlinge mit Steinen ausrüsten.

Betrunkene Neonazis greifen auf einem Dorffest in Sukow-Marienhof bei Rostock sieben Asylbewerber aus Albanien und Ägypten an und gehen auch auf eintreffende Polizisten los.

Unbekannte werfen Scheiben des alternativen Kultur- und Bildungszentrums Akubiz im sächsischen Pirna ein. Eine Woche zuvor hatte der Verein ein antirassistisches Fußballcamp organisiert, an dem auch Flüchtlinge teilnahmen. In wenigen Tagen erreichten 15 Drohungen den Verein, darunter Morddrohungen.

Nach dem Brandanschlag auf eine geplante Asylbewerberunterkunft im Reichertshofener Ortsteil Winden stockt die bayerische Polizei ihre Sonderkommission auf und will jeden Einwohner intensiv zur Tat befragen - mehrere Hundert Menschen.

Anonyme Aktivisten färben aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik das Wasser eines Brunnens in Greifswald rot ein, heben am Museumshafen Gräber aus und hängen ein Plakat mit der Aufschrift auf: "Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt."

In zwei Stadtteilen Freiburgs werden die Anwohner per Brief aufgefordert, Fenster und Türen zu schließen, wenn Asylbewerber zwischen 3 und 5 Uhr morgens abgeholt würden. "Dabei kann es durch Einsatzfahrzeuge, Schreie und Lärm durch den Widerstand der Auszuweisenden zu Ruhestörungen kommen." Der Briefkopf trägt die Adresse des Regierungspräsidiums. Es handelt sich um Fälschungen.

Asylbewerber aus Marokko und Syrien geraten in der niedersächsischen Erstaufnahmeeinrichtung Bramsche aneinander. Drei Syrer werden ins Krankenhaus gebracht.

Ein mutmaßlicher Schleuser steht in Berlin vor dem Landgericht. Der Mann soll Teil einer Bande sein, die mehr als 300 Menschen von Italien nach Deutschland gebracht haben soll.

In der Kleiderkammer der Erstaufnahmestelle im schwäbischen Ellwangen finden fünf afrikanische Flüchtlinge in einem Stapel gespendeter Hosen drei 500-Euro-Scheine. Sie melden den Fund sofort. In Alsdorf bei Aachen findet ein Flüchtling aus Syrien ebenfalls zwei 500-Euro-Scheine und ein Sparbuch - und bringt sie zur Polizei. Finderlohn verlangt er nicht.

Weil es ihnen zu lange dauert, bis ihre Anträge bearbeitet sind, gehen in Chemnitz etwa 25 Asylbewerber auf die Straße.

Die Dresdner Caritas sammelt gebrauchte Schulranzen für Flüchtlingskinder. 22 Ranzen sind es bisher.

Je einen Fußball und ein T-Shirt lässt ein privater Spender 20 Kindern zukommen, die in einem Flüchtlingsheim im brandenburgischen Bad Belzig leben. Drei der beschenkten Jungen spielen bereits im örtlichen Verein Fußball.

Eine Initiative aus der Gemeinde Hövelhof erhält den ersten Preis im Wettbewerb "Westfalen bewegt". Die ehrenamtlichen Helfer vom Sport- und Jugendclub Hövelriege stehen Flüchtlingen im Vereinsheim mit Deutschkursen, juristischer Beratung und Trauma-Therapie bei.

Das bayerische Innenministerium meldet seine 13. Sammelabschiebung dieses Jahres Richtung Kosovo. 94 abgelehnte Asylbewerber fliegen von München direkt in die Kosovo-Hauptstadt Priština.

Der 14-jährige Osama Souliman aus Syrien und sein Vater werden in Barth auf Rügen abgeholt und mit dem Flugzeug nach Italien abgeschoben. Lehrer und Mitschüler treffen sich anderntags, um gegen die Abschiebung zu protestieren.

Der Schauspieler Til Schweiger wendet sich auf seiner Facebook-Seite an Flüchtlingsgegner unter seinen Fans: "Ihr seid zum Kotzen, verpisst euch!"

© SZ vom 25.07.2015 / ack, beka, cop, heid, jbb, kc, kib, pb, tho, uz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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