Flüchtlinge:Bollwerk ohne Bestand

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Frankreich, Italien und die EU wollen verstärkt in Libyen agieren, um Flüchtlinge von der Fahrt übers Meer abzuhalten. Die Lage in dem Land ist jedoch zu chaotisch, um solche Pläne erfolgreich umzusetzen.

Von Thomas Kirchner

Seltsame Nachrichten kommen aus Italien, Brüssel und Frankreich. Alle haben sie einen Bezug zu Libyen und den Bemühungen der EU, das Haupttransitland für afrikanische Migranten politisch zu stabilisieren, damit es bald als Bollwerk gegen einen weiteren Zustrom, als europäischer Vorposten fungieren kann. Und alle rufen Fragen hervor, auf die es in Wahrheit keine oder höchstens unbefriedigende Antworten gibt.

Aus Rom ist zu hören, der libysche Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch habe um Hilfe in der Zwölfmeilenzone vor Libyen gebeten; Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni wolle dem Gesuch stattgeben. Bisher durften europäische Boote, überwiegend im Rahmen der EU-Marine-Mission Sophia, nur in internationalen Gewässern gegen Schmuggler vorgehen. Aus ebendiesem Grund waren sie wenig erfolgreich. Denn die Schlepper setzen die Migranten in wacklige Schlauchboote, deren Motor sie exakt an der Seegrenze abmontieren. Den EU-Booten und privaten Organisationen bleibt nur, die Afrikaner einzusammeln und nach Italien zu bringen - wo man das mit wachsendem Ingrimm sieht.

Warum die EU-Regierungen kaum auf Libyen setzen können

Künftig könnten also 500 bis 1000 italienische Soldaten auf sechs Schiffen die libysche Küstenwache unterstützen. Sie würden gemeinsam Schmuggler bekämpfen, vor allem aber würden sie gemeinsam Migranten an die libysche Küste zurückschicken. Wenn sich Italiener beteiligen, ist das zunächst ein klarer Verstoß gegen das Non-Refoulement-Prinzip, wonach niemand in lebensbedrohende Umstände zurückgeschickt werden darf. Genau das aber droht den Migranten in den Lagern, in denen sie in Libyen landen würden: Versklavung, Misshandlung, Tod.

Sollte die libysche Rumpfregierung eine Sicherheitsgarantie ausstellen, ändert das nichts an diesem Zustand, schon allein, weil die Lager zum großen Teil von rivalisierenden Milizen geführt werden. Bevor an eine solche Mission gedacht werden kann, müsste man sich gut überlegen, was mit den abgewiesenen Migranten geschieht. Und nicht umgekehrt vorgehen. Wenn die Europäer aber nahe der Küste wieder bloß retten dürften, hätte das nur eine Folge: Die Schmuggler würden die Migranten in noch lausigere Boote stecken, oder im Extremfall ins Wasser werfen.

Das gilt entsprechend für die Meldung, bald könne die Operation Sophia in die dritte Phase eintreten und auf dem libyschen Festland operieren. Und ebenso für den Wunsch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, in eigener oder EU-Regie Umsiedlungszentren in Nordafrika zu errichten. Europäische Lager in Afrika, um einige wenige in die EU zu befördern und alle anderen abzuweisen und abzuschrecken - das wollte schon Otto Schily 2005. Aber wie können solche Lager im kaputten Libyen gesichert werden? Mit EU-Soldaten? Wohin mit den Abgewiesenen? Internieren in Abschiebezonen in der Wüste? Zurückbringen? Aber wohin? Und wer organisiert das über Grenzen hinweg? Bis das nicht geklärt ist, kann man solche Pläne bestenfalls als abenteuerlich bezeichnen.

© SZ vom 28.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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