Flüchtlinge:Abschieben! Abwehren! Und dann?

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Menschen in Not werden immer ihren Weg finden: Flüchtlinge an der österreichisch-deutschen Grenze. (Foto: dpa)

Immer lauter dröhnen solche Schlachtrufe. Die Politik muss aufpassen, dass Deutschland wegen der Flüchtlinge keinen kollektiven Nervenzusammenbruch erleidet.

Kommentar von Bernd Kastner

Ja, die Nerven des ganzen Landes sind zum Zerreißen gespannt. Es ist, als würden die vielen ankommenden Flüchtlinge Deutschland den Schlaf rauben, und damit die so dringend nötige Zeit der Entspannung.

Politiker der Mitte zittern den nächsten Wahlen entgegen, während die AfD sie kaum erwarten kann; Frauen fragen, wie nah sie einem Fremden noch kommen dürfen; in Düsseldorf bildet sich eine "Bürgerwehr", und ein bayerischer Landrat schickt einen Bus voller Flüchtlinge vors Kanzleramt. Deutschland ist an der Grenze. Es taumelt in die Hysterie.

Abschieben! Abwehren! Immer lauter dröhnen diese Schlachtrufe durchs Land, nicht nur bei Pegida-Märschen. Zunehmend driftet die so dringend nötige Diskussion über den richtigen Kurs in der Asylpolitik ab.

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Immer mehr Verantwortliche in Berlin und den Ländern befeuern diese Stimmung, indem sie Forderungen aufstellen, die wie Heilsversprechen daherkommen. Sie sollen energisch und beruhigend wirken, machen auf längere Sicht aber alles nur schwieriger.

Seit Silvester könnte man meinen, dass deutsche Städte überrannt würden von kriminellen Nordafrikanern - und dass deren Heimatländer, Marokko und Algerien insbesondere, nicht mal bereit seien, ihre eigenen Straftäter zurückzunehmen. Aber bei wie vielen Marokkanern und Algeriern ist tatsächlich die Abschiebung gescheitert, weil sich ihre Staaten sträuben? Wo sind konkrete, belastbare Zahlen?

Abschieben kann kompliziert sein. Im Rechtsstaat muss jeder Verdächtige erst verurteilt sein, ehe er Straftäter ist. Hat ein Flüchtling seinen Pass weggeworfen, verschleiert er bewusst seine Identität, dann gewinnt er Zeit, ehe er abschiebbar ist. Das ist nicht schön, aber kein seltener Trick und nicht automatisch dem Heimatstaat anzulasten.

Grenzen schließen!, dröhnt es

Vor einer Abschiebung muss klar sein, wer einer ist und woher er stammt. Würde Deutschland etwa einen mitteleuropäisch aussehenden Kriminellen ohne Weiteres zurücknehmen, wenn nicht klar ist, ob er Deutscher, Österreicher oder Schweizer ist?

Grenzen schließen!, dröhnt der nächste Schlachtruf, verbunden mit dem Versprechen, dass dann alles besser werde. Dann müsste man nicht mehr groß abschieben, weil ja eh alle abprallen.

Aber selbst wenn Deutschland dies täte: Schnell würden die Bürger merken, dass nichts gut wird. Weil dann Europa zerbricht, weil dann noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken und trotzdem weiter Flüchtlinge ins Land kommen. Die Grenze lässt sich nicht schließen. Dafür bräuchte es 2000 Kilometer Mauer, und mehr. Menschen, die um ihr Leben laufen, werden ihren Weg finden.

Jedes einfache (Er-)Lösungsversprechen gebiert neue Enttäuschung und treibt die Enttäuschten zu rechten Parteien. Auf Dauer würde dies das Land stärker belasten als alle Hilfe für die Schutzsuchenden. Die Politik muss aufpassen, dass das Land keinen kollektiven Nervenzusammenbruch erleidet. Da hilft es manchmal, innezuhalten und nachzudenken.

© SZ vom 15.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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