Finanzkrise und die Folgen:Russische Prüfung

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Die Finanzkrise bedroht das System Putin, das auf hohen Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft basiert. Nun bricht der Rubel ein, Bürger protestieren und die Eliten sorgen sich um Einfluss.

Sonja Zekri

Im fernen Osten Russlands, kurz vor der chinesischen Grenze, tut sich gerade Unglaubliches. Tausende Menschen demonstrierten am vergangenen Wochenende in Wladiwostok gegen den Kreml, trugen Slogans wie "Ärmer als arm geht nicht". Moskau hat die Importzölle für ausländische Neuwagen drastisch erhöht, um die heimische Autoindustrie zu schützen.

Proteste in Russland: Teilnehmer des Marsches der Unzufriedenen. (Foto: Foto: dpa)

Am Pazifik aber leben ganze Landstriche von Import, Transport und Wartung japanischer Wagen. Nun machten sich die Bürger Luft in einem wütenden, nicht genehmigten Protest - und sie wurden nicht zusammengeschlagen. Mehr noch, lokale Beamte ermunterten sie sogar, und der Gouverneur tadelte die Wirtschaftspolitik des Kreml.

Sind dies die ersten Risse in der Machtvertikalen? Könnte der Krise gelingen, was weder amerikanischen Neocons noch europäischen Menschenrechtlern, geschweige denn der russischen Opposition gelungen ist, nämlich den autoritären Putinismus zum Einsturz zu bringen?

Schlecht genug geht es der Wirtschaft. Russland hat dem Verfall der Energie-Preise nichts entgegenzusetzen. Die Diversifizierung der Wirtschaft, die Modernisierung der Industrie, die Steigerung der Produktivität waren Gegenstand zahlloser Reden. Geschehen ist nichts. Inzwischen sprechen Politiker offen von Rezession.

Rubel bricht ein

Die Zentralbank ringt darum, den Sturz des Rubel gegen die Angriffe von Währungsspekulanten abzufangen, und zehrt dabei die Währungsreserven in beängstigender Geschwindigkeit auf. Seit November hat die Währung 30 Prozent ihres Wertes verloren. Importe werden teurer, und das heißt in Städten wie Moskau und Sankt Petersburg: fast alles, von chinesischen Birnen bis zu finnischen Badezimmern.

Nicht nur die angeschlagene Metallbranche hat vielerorts Kurzarbeit ausgerufen. Zehntausende warten auf ihren Lohn. "Monostädte" wie Magnitogorsk oder Norilsk, deren Schicksal von einer einzigen Firma abhängt, fürchten um ihre Existenz. Das ist noch nicht die massenhafte Verelendung wie im annus horribilis 1998. Aber das Schlimmste, da sind sich Analysten einig, kommt ja auch erst noch.

Unternehmer begrüßen die Krise

Übrigens sehen das nicht alle ungern. Russland dürfte eines der wenigen Länder sein, in dem Unternehmer die Krise begrüßen, weil sie die Mitarbeiter zu einer neuen Bescheidenheit zwingt. In der Boomtown Moskau haben selbst Anstreicher-Löhne inzwischen ein märchenhaftes Niveau erreicht. Wenn Siemens nun nach Russland drängt, sich als Partner beim Energiesparen und in der Atomkraft empfiehlt, ist das die Ausnahme. Ausländische Unternehmen schicken ihre Angestellten nach Hause und ziehen Milliarden vom russischen Markt ab. Das Kapital flieht. Und Russlands Demokraten hoffen auf ein Wunder.

Die Angst der russischen Führung vor ihrem Volk kennt keine Grenzen. Das war zu Zarenzeiten so, und es ist heute nicht anders. Wenn Präsident Dmitrij Medwedjew die Geheimdienste anweist, auf Indizien von Extremismus zu achten, wenn Polizeichefs demonstrierende Studenten exmatrikulieren lassen wollen, sind dies Panikreaktionen, die mehr über die Tiefe der Krise verraten als jeder Protestmarsch.

Noch größer aber ist die Angst vor den Vasallen der Macht, vor den Wasserträgern im Parlament und den Regionen. In einem Land, das sich über den halben Globus erstreckt, wo die Korruption Gogol"sche Ausmaße hat und die Umgehung von Gesetzen Gewohnheit ist, bleibt die Exekution des Kreml-Willens oft Glückssache, noch öfter aber eine Geldfrage. Die Stabilität der letzten Jahre, auch die Popularität des Wirtschaftswunder-Präsidenten Putin war mit den Öl- und Gas-Milliarden bezahlt. Die Oligarchen, die in den Neunzigern als Königsmacher auftraten, haben der Politik spätestens seit der Verbannung von Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowskij abgeschworen. Nun lässt sie die Krise noch enger an den Staat rücken.

Die russische Bevölkerung hat sich ähnlich wie in den Rentenstaaten des Nahen Ostens die politische Mitsprache durch steigende Löhne und Renten, durch Ikea und Daewoo abkaufen lassen. Mehr als alle anderen aber haben die politischen Eliten profitiert. Je enger Wirtschaft und Politik verschmolzen, je mehr Kabinettsmitglieder in die Aufsichtsräte zogen, je ambitionierter die Pläne für gigantische Staatsholdings wurden, desto prächtiger glänzten ihre Häuser an der Milliardärsmeile Rubljowka.

Nun aber steht Russland erneut vor einer riesigen Umverteilung. Alte Oligarchen werden verschwinden, neue auftauchen. Eine der spannendsten Fragen lautet, ob zuerst das Volk rebelliert oder die Eliten, ob das System Putin unten abbröckelt oder oben auseinanderfliegt. Und was käme danach? Dass es einen demokratischen Frühling geben wird, glauben nur Zweckoptimisten der Opposition.

Wahrscheinlich ist, dass rassistische Exzesse zunehmen werden, schon heute entlädt sich die nationalistische Indoktrination in Morden an Ausländern und Menschenrechtlern. Es gehört zu den tragischen Kontinuitäten der russischen Geschichte, dass der Kreml soziale oder politische Konflikte nur mit Gewalt löst. So könnte auch das autoritäre System ersetzt werden - durch eine Diktatur.

© SZ vom 4.2.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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