Fernsehen:Filmkunst aus der Filterblase

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Was der Erfolg von "Murder Mystery" über Streaming aussagt.

Von David Pfeifer

Die Frage "Guckst du noch oder streamst du schon?" ist in erster Linie eine Generationenfrage. Wer mit dem linearen Fernsehen aufgewachsen ist, bleibt häufig dabei. Wer mit dem Internet sozialisiert wurde, versteht nicht mehr, wieso man sich den Planungsideen eines Fernsehredakteurs unterwerfen sollte. Zumal im Fernsehen, so das Klischee, nur Quatsch läuft, während man bei Netflix und Co. nicht nur gute Serien, sondern auch Kunstwerke wie "Roma" sehen kann. "Roma" war in diesem Jahr für zehn Oscars nominiert und hat drei davon gewonnen, der Film gilt als Beleg dafür, dass die wirklich interessanten Produktionen zu den Streaming-Diensten abwandern, während sich im Kino bekannte Superhelden Großstädte um die Ohren hauen.

Wie viele Menschen "Roma" tatsächlich gesehen haben, dafür gibt es leider keine gesicherten Zahlen. Auch ob eine Serie besonders intensiv gestreamt wurde, kann man häufig nur daran ablesen, dass sie weiter geführt wird.

Die Streaming-Dienste lassen tatsächlich einige Experimente zu, gehen aber sonst eisern nach dem Prinzip des "Dies-könnte-Ihnen-auch-gefallen-wenn-Sie-jenes-mochten" vor, mit dem der Buchversender Amazon seit Jahren sein Programm optimiert. Das gilt bei Filmen und Serien allerdings nicht nur für Genres (also mehr Western für die Westernfans usw.), sondern auch für Stars. So gesehen ist Adam Sandler der erste Superstar des Streamingzeitalters, nachdem nun bekannt wurde, dass der Film "Murder Mystery", in dem auch Jennifer Aniston mitspielt, in den ersten drei Tagen laut Netflix von knapp 31 Millionen Konten abgerufen wurde. Ein Rekord. Da Streamingkonten von mehreren Nutzern gleichzeitig genutzt werden können, kann man von einer noch höheren Zuschauerzahl ausgehen. Als gesehen gilt ein Film oder eine Serienfolge dann, wenn mehr als 70 Prozent des Inhalts geschaut wurde.

Nun muss man an dieser Stelle warnen: "Murder Mystery" ist ein schauderhafter Film, bei dem einiges Geld für die Schauspieler, aber kaum etwas für die Drehbuchschreiber ausgegeben wurde. Netflix hatte Sandler bereits 2015 mit einem Vertrag über vier Filme an sich gebunden, was so erfolgreich war, dass 2017 weitere vier Filme verabredet wurden. "Murder Mystery" ist einer davon. Während also "Roma" wohl vor allem der Imagebildung diente, holt Adam Sandler die Leute vor den Bildschirm.

Es ist der alte Konflikt des digitalen Zeitalters: Reichweite oder Qualität? Im boomenden Streamingmarkt ist Geld für beides vorhanden. Sandler wurde, das sei für diejenigen dazugesagt, die Oscar-prämierte Filme vorziehen, mit eher derben Witzen erfolgreich, und seine Partnerschaft mit Jenifer Aniston, die als Rachel in der Sitcom "Friends" zum Weltstar wurde, ist bereits im Kino erprobt ("Meine erfundene Frau" von 2011). Das Gesamtwerk der beiden könnte alleine ganze Filterblasen füllen.

Allerdings hat Sandler mit den "Meyerowitz Stories (New and Selected)" auch einen künstlerischen Netflixfilm abgeliefert. Das wäre mal ein schöner Nebeneffekt der Filterblasen: wenn die Zuschauer von "Murder Mystery" plötzlich auf einen feinen Autorenfilm stoßen, weil Sandler in beiden spielt.

© SZ vom 24.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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