Fernsehen:Aschenbrödel statt Star Wars

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Zu Weihnachten laufen auffällig viele Märchenfilme - und liefern damit den Kitt für Generationen.

Von Lothar Müller

"Alle Jahre wieder" ist das Motto der Weihnachtszeit in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Wie das Weihnachtsfest selbst tief verwurzelt ist in der zyklischen Zeit, in der rituellen Wiederkehr des Gleichen, so ist im modernen Medium Fernsehen die Weihnachtszeit die Zeit der Wiederholungen. Von der letzten Adventswoche an steigt die Kurve der Ausstrahlung von Märchenfilmen steil an. Bis Anfang Januar sind es weit mehr als hundert. Nur wenige davon sind Neuproduktionen oder stammen aus den vergangenen zwei, drei Jahren. Die Mehrheit sind Wiederholungen von jahrzehntealten Filmen, "Das tapfere Schneiderlein" (1956), "Frau Holle" (1963), "König Drosselbart" (1965), "Die Schneekönigin" (1966).

Warum ist das so in einer Gegenwart, in der schon Sechsjährige in Begleitung eines Erwachsenen im Kino die aktuelle "Star Wars"-Episode sehen dürfen? Der eine Grund liegt in den Stoffen der Märchen, in ihrer Nähe zu den Ängsten und Wünschen, ihrer Tendenz zur Unterscheidung von Gut und Böse. Hänsel und Gretel haben als starke Bilder der Aussetzung und des Bedrohtseins alle Kritik an der Verteufelung der Hexen überlebt. Der zweite Grund liegt in ihrer Fähigkeit, Brücken zwischen Generationen zu schlagen.

Auch in diesem Jahr ist der Spitzenreiter unter den Märchenfilmen der Weihnachtszeit ein Klassiker: "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel", eine Koproduktion der DDR und der tschechoslowakischen sozialistischen Republik aus dem Jahr 1973, mit Rolf Hoppe als König. Die Kaskade der 15 Ausstrahlungen dieses Films an den Weihnachtstagen beginnt am 23. Dezember um 23.15 Uhr. Das dürfte nur in einer Minderheit der Haushalte die Primetime der jüngsten Fernsehzuschauer sein. Aber womöglich sitzen um diese Zeit erschöpfte Eltern vor dem Fernseher, die sich an die Kinder erinnern, die sie selbst einmal waren. Nicht zuletzt an diese Kinder in den Erwachsenen ist das Ritual der ewig wiederkehrenden Märchenfilme in der Weihnachtszeit adressiert.

In der DDR hatte der zu Teilen auf Schloss Moritzburg in Sachsen gedrehte Film im Frühjahr 1974 sein Kinodebüt, in der Bundesrepublik im Dezember 1974, in beiden deutschen Staaten wurde "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" seit Mitte der Siebzigerjahre immer wieder zur Weihnachtszeit ausgestrahlt. Die Kinder, die in den ersten Jahren dabei waren, wurden in den Wendejahren erwachsen, ihre Eltern sind jetzt Großeltern.

Neuproduktionen wie in diesem Jahr der Sagenfilm "Rübezahls Schatz" erweitern und modernisieren das Repertoire des Weihnachts-Märchenfilms beständig. Das Feld, auf dem sie sich langfristig bewähren müssen, liegt in der Zukunft. Das Ritual, in das sie eingehen, hat sich das Fernsehen von den Märchen selber abgeschaut. Sie waren, seit sie in Büchern gesammelt wurden, nie allein an die Kinder adressiert. Mit Bedacht sprachen die Brüder Grimm von "Kinder- und Hausmärchen". Beim Haus dachten sie nicht an eine, sondern an mehrere Generationen. Das Märchenerzählen und -vorlesen sollte zur Stabilisierung von Generationenketten beitragen. Im ewig wiederholten TV-Aschenbrödel lebt dieses alte Ideal fort.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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