Fall Amri:Lehren, vierzig Jahre alt

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Damals RAF, heute IS: 1978 wurde Hermann Höcherl (CSU) als Sonderermittler eingesetzt, um die Pannen nach der Entführung des Arbeitgeber-Präsidenten Schleyer zu untersuchen. Was daraus zu lernen ist.

Von Heribert Prantl

Wenn man die Dinge ernsthaft aufklären will, geht das theoretisch auch in einem Wahlkampfjahr; Ernsthaft heißt: Die Politik darf bei der Untersuchung des Weihnachtsmarkt-Attentats nicht vor allem danach trachten, eine bestimmte Behörde oder Partei hinzuhängen; es muss darum gehen, was zu tun ist, um die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden. So eine Untersuchung kann, bei Konzentration und Interesse, in wenigen Monaten auch in einem Wahlkampfjahr geschehen; in Nordrhein-Westfalen wird im Mai, im Bund im September gewählt.

Ist die Hoffnung auf gute Aufklärung in kurzer Zeit naiv? Ja. Jedenfalls dann, wenn vom Landtag oder/und vom Bundestag Untersuchungsausschüsse eingesetzt werden. Es ist wahrscheinlich, dass sie zur Produktion von Wahlkampfmaterial, also von Vorwürfen an den politischen Gegner missbraucht werden. Die Arbeit von U-Ausschüssen endet nämlich mit der Legislaturperiode; nach der Wahl müssen sie, wenn noch erwünscht, neu eingesetzt werden, die Arbeit muss von vorn beginnen. Die Befürchtung lautet daher: Es wird in U-Ausschüssen, die nur noch wenige Monate arbeiten können, vor allem wahlkampfgeleitet filibustert. Gibt es Alternativen? Ja! Bund und Länder sollten sich darauf verständigen, einen gemeinsamen Sonderermittler einzusetzen. Es handelt sich dabei nicht um einen Ermittlungsbeauftragen, wie er in Paragraf 10 des Parlamentarischen Untersuchungsausschussgesetzes vorgesehen ist. Der ist ein Organ des U-Ausschusses; auch sein Mandat endet mit der Legislaturperiode.

Zur Zeit der RAF zeigte der Staat, wie man Pannen aufklärt

Ein echter Sonderermittler, wie er heute im Fall Amri notwendig ist, ist etwas anderes. Das Ur-Vorbild ist Hermann Höcherl, CSU. Der frühere Bundesinnenminister wurde 1978 als Sonderermittler zur Aufklärung der Pannen nach der Entführung des Arbeitgeber-Präsidenten Schleyer eingesetzt - von Kanzler Helmut Schmidt (SPD) und vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Heinz Kühn (SPD). Höcherl und seine Kommission sollten auch Vorschläge zur Neuordnung des Sicherheitsapparates machen. Das ist heute wieder erforderlich. Höcherl hat seinen Bericht damals sehr konkret und lehrreich binnen zweieinhalb Monaten vorgelegt. Und wenn es heute viel länger dauert? Die Arbeit des Sonderermittlers endet nicht mit der Wahlperiode; so wenig wie ein Behördenleiter mit Ende der Legislatur den Stab abgeben muss.

Es gibt Verbesserungsbedarf im Hin und Her von Landes- und Bundesbehörden. Vor allem gilt es zu klären, wer die Einschätzungen im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) verantwortet, das den Gefährder Anis Amri für wenig gefährlich hielt. Wenn Oberregierungsräte dort zu problematischen Einschätzungen gelangen: Wem wird das gemeldet, wer überprüft? Wer hat falsche Entscheidungen getroffen? Auf welcher Ebene haben sich Verantwortliche damit auseinandergesetzt? Es gibt viel zu klären für Höcherls Nachfolger. Eine Task-Force des geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremiums kann eine solche Klärung nicht leisten.

© SZ vom 17.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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