Fall Amri:Einfach"tragisch"

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Fahndungsfotos des Tunesiers Anis Amri an der Tür der Weihnachtsmarktwache in Frankfurt am Main. (Foto: Arne Dedert/dpa)

"Keine Mängel festzustellen": Ein Sondergutachter entlastet die nordrhein-westfälischen Behörden.

Von Jan Bielicki, Düsseldorf

Anis Amri konnte in Berlin zwölf Menschen totfahren, obwohl er als gefährlicher Islamist bekannt und wegen anderer Straftaten aufgefallen war. Und doch kommt der von Nordrhein-Westfalens Landesregierung eingesetzte Sondergutachter zu dem Schluss, dass die Behörden in Nordrhein-Westfalen im Umgang mit dem Lkw-Attentäter nicht viel falsch gemacht haben. Es seien im Verhalten der NRW-Behörden "keine Mängel festzustellen", die "entweder erheblich waren oder die das spätere Anschlagsgeschehen beeinflusst haben", schreibt der Gießener Strafrechtsprofessor Bernhard Kretschmer.

Die NRW-Behörden waren für Amri zuständig, da er im August 2015 einer Flüchtlingsunterkunft im niederrheinischen Emmerich zugewiesen worden war. Schon im November geriet er im Zuge von Ermittlungen gegen eine Salafistengruppe um den später verhafteten Prediger Abu Walaa ins Visier des Landeskriminalamts. Dem LKA erteilte Kretschmer bei der Vorstellung seines Gutachtens am Montag Bestnoten: "Es hat alles getan, was es tun konnte." Es überwachte Amri und regte beim Generalbundesanwalt an, ein Ermittlungsverfahren wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat einzuleiten. Der tat das mangels harter Anhaltspunkte nicht, sondern leitete den Vorgang an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin weiter, wo Amri sich seit dem Frühjahr 2016 aufhielt. In Berlin aber habe man ihn "zu schnell aus dem Blick verloren", was, "wie wir wissen, fatal war", sagte Kretschmer.

Amri hätte ausreisen müssen. Doch Tunesien wollte ihn nicht, also blieb er frei

Die Vorstellung, Amri hätte wegen seiner Straftaten in Haft kommen können, hält er für "abstrus". Fahrraddiebstahl, Sozialbetrug mit 162 Euro Schaden, Handyklau - "da ist nichts, womit man ihn strafrechtlich hätte fassen können". Auch Amris Ausweisung scheiterte nicht an den deutschen Behörden. Zwar versuchten sie nicht einmal, ihn mit der Begründung auszuweisen, er sei terroristischer Gefährder. Denn die Erkenntnisse dafür, gewonnen aus verdeckten Ermittlungen, wurden vom Generalbundesanwalt nicht freigegeben. Aber nach der beschleunigten Ablehnung seines Asylantrags war Amri ohnehin zur Ausreise verpflichtet. Nur: Man konnte ihn weder abschieben noch in Abschiebehaft nehmen, weil sein Heimatland Tunesien sich weigert, Leute wie ihn zurückzunehmen. Amri blieb hier und frei. Das Fazit des Gutachters: "Tragisch."

© SZ vom 28.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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