Faktencheck:Irans Manhattan-Projekt

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Der Vorwurf des israelischen Premiers, dass Teheran ein Waffenprogramm betrieb, ist nicht neu. Neu ist vor allem die Anschuldigung, dass der führende Atomforscher des Landes weitergearbeitet hat - doch woran, bleibt offen.

Von Paul-Anton Krüger

Ein Mann mittleren Alters, braune Haare, Seitenscheitel, Brille - so soll der Vordenker des geheimen iranischen Atomprogramms aussehen. Israels Premier Benjamin Netanjahu zeigte ein Foto von Mohsen Fakhrizadeh, General der Revolutionsgarden und Nuklearphysiker, der als Irans Pendant zu Robert Oppenheimer gilt. Eine halbe Tonne Akten (55 000 Seiten) und noch einmal so viele Dateien auf 183 CDs hat der Mossad demnach Anfang 2017 aus einem unscheinbaren Lagerhaus im Süden Teherans entwendet. Es soll als Archiv gedient haben für Irans Manhattan-Projekt. Ein riesiger Scoop, wenn die Geschichte stimmt.

US-Außenminister Mike Pompeo, bis vor Tagen noch CIA-Chef, sagte, die US-Geheimdienste hielten das Material für authentisch. Sie seien noch dabei, es zu sichten. Das, was Netanjahu davon vorgeführt hat, ist zumindest plausibel und fügt sich ein in das, was bekannt ist über Irans klandestine Aktivitäten zum Bombenbau. Zweifellos lässt sich aus den zigtausend Dokumenten ein wesentlich detaillierteres Bild gewinnen. Und wahrscheinlich werfen sie neue, für Iran unangenehme Fragen auf. Es ist zu früh, dies abschließend zu beurteilen.

Eines aber lässt sich sagen: Netanjahus Schlussfolgerung, dass Iran ein Waffenprogramm betrieb, ist ebenso wenig neu wie die Erkenntnis, dass Teheran dies niemals eingestanden hat. Neu ist vor allem die Anschuldigung, dass Fakhrizadeh bis zuletzt unter der Kontrolle des Militärs und mit Wissen höchster Regierungsstellen weitergearbeitet hat, was ein Verstoß gegen das Abkommen und den Atomwaffensperrvertrag sein könnte. Nicht mal Pompeo wollte sich in dieser Frage festlegen. Ob Fakhrizadeh weiter einen Sprengkopf entwickelt, sagte Netanjahu nicht - nur, dass Iran das gelagerte Material jederzeit nutzen könne zum Bombenbau. Netanjahu stellte aber auch nicht die Einschätzung der US-Geheimdienste infrage, dass Iran sein Waffenprogramm 2003 eingestellt habe.

Die "möglichen militärischen Dimensionen" des iranischen Nuklearprogramms waren eines der heikelsten Themen bei den Verhandlungen über das Atomabkommen; die Internationale Atomenergiebehörde IAEA packte ihre Zweifel in "ausstehende Fragen". Letztlich verzichteten die USA zum Ärger der Europäer darauf, Iran zur vollständigen Offenlegung der IAEA gegenüber zu zwingen. "Wir bestehen nicht darauf, dass Iran genau angibt, was sie in der Vergangenheit getan haben. Wir wissen, was sie getan haben", sagte der damalige Außenminister John Kerry. Man habe "absolutes Wissen bezüglich bestimmter militärischer Aktivitäten", wolle aber nach vorne blicken und mittels strikter Kontrollen sicherstellen, dass es künftig keine Verstöße mehr gebe.

Fakhrizadeh und den Amad-Plan - das geheime Bombenprojekt - erwähnte schon 2008 prominent der damalige IAEA-Chefinspektor Olli Heinonen in einem Briefing für Mitgliedstaaten. Er fasste alle Verdachtsmomente in einem Dossier mit gut 40 Seiten zusammen, dessen Veröffentlichung der damalige Generaldirektor Mohamed el-Baradei lange blockierte. Darin ist etwa beschrieben, wie ein Forscher aus dem sowjetischen Waffenlabor Tscheljabinsk Iran half, eine kugelförmige Zündeinrichtung zu entwickeln, für die es kaum eine Anwendung gibt außer Atomwaffen. Die IAEA wusste von Experimenten auf dem Militärstützpunkt Parchin, bei denen ein solches System getestet worden sein soll, sie besaß Unterlagen darüber, wie Iran einen Sprengkopf in Raketen integrieren wollte, über Pläne für einen unterirdischen Test - alles Elemente, die nun auch Netanjahu erwähnte. Doch die IAEA wurde mit einem Höflichkeitsbesuch in Parchin abgespeist, das Thema ohne finale Klärung begraben.

Die Iraner bezeichneten pauschal alle Dokumente, auf die sich die IAEA stützte, als plumpe Fälschungen - das nahmen ihnen weder die IAEA ab noch die westlichen Dienste, von denen das Material stammte. Ein Iraner, der später getötet wurde, soll den Großteil des belastenden Materials auf einem Datenträger aus Iran herausgeschmuggelt haben. Über den Bundesnachrichtendienst gelangte es an die USA - bekannt wurde die Sammlung als "Laptop des Todes", allerdings war der Laptop nur das Mittel, mit dem die Amerikaner die Informationen zu präsentieren pflegten.

Bekannt war auch, dass Fakhrizadeh nicht in Ruhestand ging, nachdem Irans politische Führung 2003 unter dem Eindruck der US-Invasion im Irak angeordnet hatte, das Programm einzumotten. Westliche Geheimdienste gingen davon aus, dass er mit einem kleinen Team von einem Dutzend Personen weiterarbeitete, um die Erkenntnisse zu bewahren und durch spezifische Forschung weiter zu vertiefen. Das Team wurde demnach zur Tarnung an der Malek Ashtar University in Teheran angesiedelt und seit 2011 in einem Nachbargebäude untergebracht. Die Forschungsaktivitäten dort, heißt es in einem Bericht der IAEA vom November 2011, könnten "hoch relevant für die Entwicklung eines Sprengkopfes" sein.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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