Extremisten:"Toxische Mischung"

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"Epizentrum" der Querdenken-Bewegung: eine Demonstration auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart. (Foto: imago images/Oliver Willikonsky)

Staatsfeindlichkeit statt reiner Corona-Protest: Als erstes Bundesland nimmt Baden-Württemberg die Initiative "Querdenken" unter Beobachtung. Weitere Länder könnten folgen.

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Der Verfassungsschutz von Baden-Württemberg hat "Querdenken 711" und regionale Ableger der Initiative im eigenen Bundesland am Mittwoch zu einem Beobachtungsobjekt erklärt. Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) begründet diesen Schritt mit "hinreichend gewichtigen Anhaltspunkten" dafür, dass die Gruppierung extremistische Bestrebungen verfolge und gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgehe.

Die Initiative wurde im April in Stuttgart gegründet und hat in den vergangenen Monaten zu mehreren bundesweit beachteten Großdemonstrationen aufgerufen, etwa in Berlin oder Leipzig. Der Zusatz "711" verweist auf die Vorwahl von Stuttgart.

"Verharmlosung des Holocaust"

"Seit Beginn des Protestgeschehens stellen wir bei den zentralen Akteuren der ,Querdenker' eine zunehmende Diffamierung staatlichen Handelns fest, die immer wieder in abwegigen Vergleichen mit der Diktatur des Nationalsozialismus und einer Verharmlosung des Holocaust gipfelt", sagte Strobl bei einer Pressekonferenz mit Beate Bube, der Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz. Das ursprünglich genannte Ziel der Gruppierung, nämlich die Abschaffung von Verboten zur Eindämmung der Corona-Pandemie, weiche zusehends einer generellen Staatsfeindlichkeit, sagte Strobl.

Der Innenminister betonte, dass der Verfassungsschutz die "maßgeblichen Akteure" unter Beobachtung nehme. Dies sei eine Zahl "im unteren zweistelligen Bereich". Es gehe nicht um die "größtenteils nicht-extremistischen" Teilnehmer der Demonstrationen.

Vernetzung mit einflussreichen Rechtsextremisten

Im Kreis der Organisatoren wirkten Personen mit, die dem Milieu der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" zuzurechnen seien, sagte Bube. Die Initiative suche auch die Zusammenarbeit mit anderen extremistischen Akteuren aus dieser Szene, etwa mit Peter Fitzek, dem selbsternannten Oberhaupt eines "Königreichs Deutschland". Hinzu komme eine Vernetzung mit einflussreichen Rechtsextremisten, mit der "Neuen Rechten", dem Compact-Magazin oder dem "Flügel" der AfD. Strobl nannte dies eine "toxische Mischung".

Die Verfassungsschützer haben auch eine inhaltliche Radikalisierung beobachtet. So habe der Querdenken-Gründer Michael Ballweg zu einer "verfassungsgebenden Versammlung" aufgefordert und damit suggeriert, dass das Grundgesetz abgeschafft werde müsse. Insgesamt lehne sich der Sprachgebrauch zunehmend an den der "Reichsbürger" an. Dies gehe einher "mit klassischen Verschwörungsmythen, die häufig auch einen antisemitischen Einschlag haben".

Ballweg teilte mit, dass die Initiative für "Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" stehe. Er fühle sich an den Umgang der Stasi mit Regimekritikern erinnert.

Strobl nannte Baden-Württemberg das "Epizentrum" des Phänomens. Andere Verfassungsschutzbehörden prüfen noch, ob sie "Querdenken" unter Beobachtung stellen. Sie wird auch Thema der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern sein, die an diesem Donnerstag beginnt.

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