Ex-NSA-Direktor im U-Ausschuss:"Wir haben einen falschen Weg eingeschlagen''

Lesezeit: 3 Min.

Ex-NSA-Direktor William Binney übte im NSA-Ausschuss Kritik an seinem früheren Arbeitgeber. (Foto: Getty Images)

Totale Überwachung entgegen aller rechtlicher Beschränkungen: William Binney, ein früherer technischer Direktor der NSA, hat im Untersuchungsausschuss des Bundestags seinen früheren Arbeitgeber scharf kritisiert. Die NSA habe die USA zu einem Staat gemacht, der im Widerspruch zu seiner Gründungsidee stehe.

Von Stefan Braun, Berlin

Der frühere technische Direktor der NSA, William Binney, hat im Untersuchungsausschuss des Bundestages schwere Vorwürfe vor allem gegen die US-Regierung und die eigenen Geheimdienste erhoben. Binney sagte vor dem Ausschuss, spätestens nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hätte sich die US-Administration entschieden, entgegen aller rechtlicher Beschränkungen sämtliche Telekommunikationsdaten zu sammeln und zu speichern.

Nur wenige Tage nach den Terroranschlägen sei ein entsprechender Vorschlag des damaligen NSA-Chefs Michael Hayden von US-Präsident George W. Bush und seinem Vize Richard Cheney angenommen worden. Damit seien alle Schleusen zur Speicherung und Totalüberwachung geöffnet worden.

Binney betonte, dass er deshalb nur wenige Tage später seine Arbeit für die NSA aufgegeben habe. Er hatte 37 Jahre für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet und war zuletzt als technischer Direktor für die Systeme zur Datensammlung und zur Filterung relevanter Informationen zuständig.

Der heute 71-Jährige, der sich grundsätzlich als überzeugter Geheimdienstler präsentierte, sagte im Ausschuss: "Wir haben damals einen falschen Weg eingeschlagen.'' Auf diese Weise sei spätestens ab Herbst 2001 eingetreten, was nach Ansicht Binneys die Gründerväter der USA exakt hatten verhindern wollen: dass ein Staat entsteht, der über alle seine Staatsbürger jede Information sammelt und im Zweifel auch gegen sie verwendet.

Dysfunktionale und universale Überwachung

Er wertete diesen Schritt aus zwei Gründen als fatal. Zum einen habe man damit zwar nicht die technischen Möglichkeiten der Server überfordert. Man habe einfach viel größere gekauft und entwickelt. Aber man habe sich in die große Gefahr begeben, dass man aus dem Wust der Informationen die wirklich relevanten gar nicht mehr angemessen auswählen könne. "Unsere Arbeit ist damit dysfunktional geworden'', sagte Binney. Mindestens genauso scharf kritisierte er, dass mit der Entscheidung wenige Tage nach dem 11. September die massenhafte Datensammlung grundsätzlich auch auf alle US-Bürger ausgedehnt wurde.

Es gab schlicht keine Unterscheidung mehr, es wurden einfach alle verfügbaren Daten gespeichert. Und zwar auch, indem Abkommen mit Telekommunikationsunternehmen geschlossen wurden, denen man laut Binney für Kooperation und Informationen viel Geld bezahlt habe. Binney ließ auch wenig Zweifel daran, dass seit dieser Zeit nicht nur die so genannten Metadaten gesammelt werden, also die Kontakte an sich, sondern auch alle Inhalte.

Er verwies sogar darauf, dass diese Daten zum Beispiel von der amerikanischen Drogenpolizei längst auch gegen die Organisierte Kriminalität in den USA verwendet würden. Gleiches gelte für das FBI, ja sogar für die Steuerbehörden. Dabei sei besonders problematisch, dass die von der NSA stammenden Informationen nur als erster Anstoß für Ermittlungen genutzt und niemals offen gelegt würden.

Mit Blick auf die Zusammenarbeit zwischen der NSA und dem BND betonte der einst hochrangige Geheimdienstler, diese sei zu seiner Zeit immer sehr gut gewesen und man habe in den Achtziger- und Neunzigerjahren große Teile der Informationen auch ausgetauscht. Erst als es 1998 technisch und dann mit den Entscheidungen vom September 2001 auch politisch gestützt möglich wurde, alle Daten umfassend zu sammeln, sei der Austausch teilweise eingeschränkt worden.

Binney verließ die NSA im Herbst 2001. Daher konnte er keine konkreten Auskünfte über die Zeit danach geben. Ohne zu zögern antwortete er auch auf die Frage, was es für einen Sinn haben könnte, wenn die NSA zum Beispiel die Gespräche deutscher Politiker bis hin zur Kanzlerin abhört und sammelt: ,,Man kann die Informationen vielleicht nicht sofort nutzen, aber sie helfen immer, um die Person besser einschätzen zu können.'' Außerdem könnten ja Situationen eintreten, in denen man Informationen "als Hebel'' einsetzen könne, um die Personen zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen.

Die Informationen als "Hebel"

Voll höchsten Lobes war Binney für Edward Snowden, der vor einem Jahr mit seinen Veröffentlichungen die massenhafte Datensammlung der NSA weltweit bekannt gemacht hatte. Binney betonte, Snowden habe mit seinem Mut nicht nur Amerika, sondern der ganzen Welt einen großen Dienst erwiesen. Auf Nachfrage mehrerer Ausschussmitglieder versicherte Binney, dass Snowdens Unterlagen echt und authentisch seien, er habe sie gründlich gelesen.

Binney selbst war mit seiner Kritik an den Überwachungspraktiken der NSA erstmals im Mai 2011 an die Öffentlichkeit getreten. Mit Snowdens Unterlagen gebe es nun jene Belege, die ihm damals zur Untermauerung seiner Kritik gefehlt hätten. Binneys abschließendes Resümee: Die NSA habe gezeigt, dass sie alles, was sie technisch könne, auch mache.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: