Europäische Union:Reformeifer abrupt erlahmt

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Die Kanzlerin weiß von der Skepsis der Fraktion. (Foto: Markus Schreiber/AP)

Die EU hatte im Regierungsprogramm der Groko noch oberste Priorität - doch davon will die Union plötzlich nichts mehr wissen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Am kommenden Dienstag wird man viel darüber lernen können, wie nahe sich Berlin und Paris wirklich sind bei der angeblich dringenden Entwicklung Europas. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird an diesem Tag im Europäischen Parlament für seine ambitionierten Reformpläne kämpfen. Etwa zur gleichen Zeit wird auch im Bundestag gerungen. Allerdings eher darum, diese ambitionierten Reformen zu verhindern.

Die CDU/CSU will in Berlin bei einer Fraktionssitzung zu Europa eine Stellungnahme verabschieden, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nur ein eingeschränktes Verhandlungsmandat bei den Europareformen erteilt. Die Zustimmung der Unionsabgeordneten gilt in der Fraktion als sicher. Ob es freilich anschließend auch eine Mehrheit im Bundestag dafür gibt, hängt davon ab, ob auch der Koalitionspartner SPD zustimmt. Genau danach aber sah es am Freitag nicht aus. "Die Europapolitik Deutschlands darf jetzt nicht von Verweigerung und Blockade geprägt sein", sagte Achim Post, Vize-Fraktionschef der SPD, der Süddeutschen Zeitung. Die SPD lehne eine Einschränkung des Verhandlungsmandats ab. Damit bahnt sich ausgerechnet beim Thema Europa, bei dem die neue große Koalition einen neuen Aufbruch versprochen und in den Koalitionsvertrag schreiben lassen hat, der erste große Krach an.

Post sagte, die SPD poche auf die getroffenen Vereinbarungen, "gerade auch mit Blick auf eine mutige Reform der Wirtschafts- und Währungsunion durch einen Investivhaushalt für die Euro-Zone und den Aufbau eines Europäischen Währungsfonds". Umso befremdlicher sei es, wenn es jetzt in der Union Bestrebungen gebe, "eine europapolitische Rolle rückwärts zu vollführen". Es dürfe kein Zurück hinter den gemeinsam formulierten europäischen Gestaltungsanspruch geben.

Wie aus dem Entwurf der Stellungnahme hervorgeht, die der SZ vorliegt, lehnt die Unionsfraktion ambitionierte Reformen tatsächlich weitgehend ab. Zwar kann sie den von ihrem eigenen Ex-Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ins Spiel gebrachten Europäischen Währungsfonds nicht komplett ablehnen, ohne den geschätzten Parteifreund zu düpieren. Allerdings stellt sie dessen Entwicklung unter den Vorbehalt, dass Berlin sich entscheidende nationale Mitspracherechte sichert. Der EU-Kommission soll jede Form von Einflussnahme verwehrt werden. Zudem soll jeder Kredit, den der Fonds gewähren könnte, an strenge Auflagen geknüpft werden, die nur noch von dem Fonds - und nicht wie bisher von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds überwacht werden. Die Staaten müssten sich verpflichten, im Falle einer drohenden Staatspleite auch private Unternehmen wie Finanzinstitute an einem Schuldenschnitt zu beteiligen. Die Unionsabgeordneten lehnen es darüber hinaus ab, eine Art Euro-Haushalt einzurichten, der bei unerwarteten Krisen dem betreffenden Staat kurzfristig hilft. Zudem dürfe der Europäische Währungsfonds nicht als finanzielles Netz genutzt werden, wenn klamme Banken abgewickelt werden müssten.

In der Unionsfraktion hieß es dazu, der Vorstoß greife die Stimmung in den Wahlkreisen auf, die nach dem europafreundlichen Koalitionsvertrag gespalten sei. Zudem wolle man Europa nicht skeptischen Parteien wie FDP und AfD überlassen, die permanent Anträge gegen die Euro-Politik stellten. Das Kanzleramt sei über die Initiative selbstverständlich informiert.

Die große Koalition hatte Europa in ihrem Regierungsprogramm an die erste Stelle gesetzt und einen neuen Aufbruch versprochen. "In enger Partnerschaft mit Frankreich" wolle man auch "die Euro-Zone nachhaltig stärken und reformieren". Alle dazu vorliegenden Vorschläge sollten geprüft werden, legten sich die angehenden Koalitionäre fest - auch auf Drängen des damaligen SPD-Chefs Martin Schulz, der inzwischen ausgeschieden ist.

Bei den Grünen stießen die Pläne der Union auf harsche Kritik. Es sei "unglaublich, dass sich die Bundestagsfraktion der Union gegen den eigenen Koalitionsvertrag in Stellung bringt", sagte Franziska Brantner, europapolitische Sprecherin der Fraktion. Für europäische Kompromisse müssten sich alle Seiten bewegen. "Ihre reine Blockadepolitik gefährdet die Stabilität und den Zusammenhalt der Euro-Zone und Europas. Das ist gerade angesichts der turbulenten Weltlage grob fahrlässig". Ob Macron sich von dem Vorstoß beeindrucken lässt, wird sich am Dienstag zeigen.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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