Europäische Union:Mehr Mitsprache für EU-Staaten bei Handelsabkommen

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Brauchen klare Handelsregeln: Containerschiffe im Hamburger Hafen. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Handelsverträge sind nicht allein Sache der Kommission, befindet der Europäische Gerichtshof. Die Verhandlungen werden künftig also länger dauern.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Die Europäische Union muss in der Handelspolitik umdenken. Künftig werden die EU-Mitgliedstaaten weit stärker mitreden dürfen, sowohl bei den Verhandlungen über neue Abkommen als auch bei deren Abschluss. Das geht aus einem weitreichenden Gutachten hervor, das der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag veröffentlichte. Theoretisch kommt den nationalen Parlamenten demnach sogar ein Vetorecht zu. Praktisch wird die EU aber vermutlich Wege finden, nationale Blockaden zu umgehen. Die Verabschiedung der Abkommen dürfte sich auf jeden Fall in die Länge ziehen.

In Brüssel erwägt man nun, Handelsabkommen in mehrere Einzelverträge aufzusplitten

Die Handelspolitik wird wegen der Globalisierung immer bedeutender. Gleichzeitig schotten sich manche Staaten, wie die USA unter Donald Trump, zunehmend ab. Weil Regeln, an die sich alle halten, nicht mehr funktionieren, will die EU möglichst umfassende Freihandelsabkommen mit einzelnen Staaten abschließen. Im geltenden Lissabonner EU-Vertrag wurde, um Europa hier mehr Schlagkraft zu verleihen, die alleinige Handelskompetenz der EU übertragen. In diesem Sinne hat die EU-Kommission unter anderem die Abkommen mit Kanada (Ceta) oder mit der Ukraine ausgehandelt. Dabei geht es nicht mehr wie früher nur um den Abbau von Zöllen und ähnliche Handelshemmnisse, sondern auch um soziale und Umweltrechte, Urheberschutz oder öffentliche Aufträge. Deshalb pochen die Mitgliedstaaten nun auf Mitsprache. Die Kommission bat den EuGH 2015, den Zuständigkeitsstreit anhand des Abkommens mit Singapur definitiv zu klären.

Nach Ansicht der Luxemburger Richter ist die EU zwar für überraschend viele Felder in den Handelsabkommen allein zuständig: neben dem Marktzugang für Waren und alle Arten von Dienstleistungen auch für fast alles, was zu den Abkommen der "neuen Generation" zählt: etwa die "Transparenz" oder die "nachhaltige Entwicklung", die den Umweltschutz und soziale Rechte von Arbeitnehmern umfasst. Was Investitionen betrifft, erkennt der EuGH eine Alleinzuständigkeit der EU für "Direktinvestitionen". Das sind Investitionen ausländischer Unternehmen, um eigene Waren oder Dienstleistungen herzustellen oder zu vermarkten.

Entscheidend ist aber, dass es auch Bereiche mit gemischter Zuständigkeit gibt: Zum einen sind dies die Regeln für "Portfolio-Investitionen", also Investitionen von Kapitalgebern wie etwa Fondsgesellschaften, die kein Interesse an bestimmten Produkten haben, sondern lediglich an den Gewinnen bestimmter Unternehmen teilhaben wollen. Zweitens gehören dazu die Streitigkeiten zwischen ausländischen Investoren und dem jeweiligen Staat. Die hier vorgesehenen Schlichtungsverfahren griffen unmittelbar in die Zuständigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten ein, erklärte der EuGH. Daher könnten sie "nicht ohne deren Einverständnis" eingeführt werden. Wegen dieser beiden Ausnahmen kann das Abkommen gemäß den Richtern - und entgegen der Auffassung der Kommission - "in der derzeitigen Form" nur von der EU und den Mitgliedstaaten gemeinsam beschlossen werden. Das bedeutet, dass die Abkommen in jedem EU-Staat parlamentarisch ratifiziert werden müssten - in Belgien auch von den Parlamenten der Teilregionen. Bei Ceta hatte die Kommission den Mitgliedstaaten nach Druck aus den EU-Hauptstädten ein Mitspracherecht eingeräumt. Dies führte zu einer vorübergehenden Blockade durch das Parlament der belgischen Wallonie und einer peinlichen diplomatischen Krise mit Kanada.

Wie die EU auf das Gutachten reagiert, ist offen. In Brüssel wird erwogen, die Abkommen je nach Zuständigkeit künftig zu trennen, in zwei oder gar drei Einzelabkommen. Über den Großteil der Materie müssten dann nur das Europäische Parlament und die nationalen Regierungen befinden. Diese Möglichkeit, die schon die Generalanwältin in Luxemburg ins Spiel gebracht hatte, wurde am Dienstag von mehreren EU-Abgeordneten begrüßt.

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström begrüßte die Entscheidung, die "dringend benötigte Klarheit" schaffe. Sie werde nun mit den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament an "einem Weg nach vorne" arbeiten. Betroffen ist auch der Brexit. Denn nach dem EU-Austritt wird Großbritannien ein Handelsabkommen schließen wollen.

© SZ vom 17.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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