Europäische Union:Ein Jahr ohne Antwort

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Vor einem Jahr forderte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Europa gemeinsam neu zu gründen. Auf Antworten aus Deutschland wartet er bis heute. (Foto: Ludovic Marin/AFP)

Zum Jubiläum der europapolitischen Ruckrede von Frankreichs Präsident Macron wächst der Druck auf die Bundesregierung, Reformen voranzubringen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die Bundesregierung gerät wegen ihrer zögerlichen Europapolitik immer heftiger in die Kritik. Die Fraktionen von FDP und Grünen im Bundestag werfen der großen Koalition vor, sich den Europaskeptikern zu beugen. Wider besseres Wissen bringe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht die Kraft auf, die nötigen Reformen anzupacken, sagte Franziska Brantner, Europaexpertin der Grünen, der SZ. "Feige und fahrlässig" sei das.

Kräftig fällt auch die Kritik der Liberalen aus. FDP-Vizefraktionschef Alexander Graf Lambsdorff sagte am Dienstag in Berlin, "durch Nichtstun verspielt die Kanzlerin das Vertrauen der Bürger und unserer europäischen Partner". Zudem wird der Ton aus Paris schärfer. Unter dem Hashtag Meseberg twittert der mächtigste Minister in der Regierung in Paris, Bruno Le Maire, das Zögern bei den Euro-Reformen sei "unverantwortlich". In Meseberg hatten Berlin und Paris im Juni über Reformen beraten.

Vor einem Jahr, am 26. September 2017, hatte der französische Präsident Emmanuel Macron bei einer Rede an der Pariser Universität Sorbonne Kanzlerin Angela Merkel symbolisch die Hand gereicht und eingeladen, Europa gemeinsam neu zu gründen. Rechnet man das französische Pathos weg, so hatte Macrons Aufforderung sich angehört wie Merkels Credo "Wir müssen unser Schicksal ein Stück weit selbst in die Hand nehmen". Macron erhielt später dafür den Aachener Karlspreis. Merkel hielt die Laudatio - ohne jedoch auf die Reformvorschläge des Franzosen zu antworten. Die Enttäuschung in Paris war groß. Und sie hat weiter zugenommen.

FDP-Fraktionsvize Lambsdorff kritisiert, Macron habe aus Berlin bisher keine Unterstützung auf seine Vorschläge bekommen, "Kanzlerin Merkel und Außenminister Maas haben darauf nie wirklich reagiert". Die große Koalition sende durch ihr Nichtstun "ein gefährliches Signal angesichts der letzten Wahlerfolge von EU-Skeptikern in Ungarn und Italien".

Die Bundesregierung ist durch internen Streit gelähmt. Merkel hat in der Unionsfraktion nicht den vollen Rückhalt für eine ambitionierte Europapolitik. Das hat dazu geführt, dass sich Berlin und Paris immer wieder haben vertagen müssen; bislang ist keine europäische Reform umgesetzt worden. Statt über außen- und wirtschaftspolitische Reformen hatten die EU-Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel im Juni über Migration zu reden. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte darüber einen Streit angezettelt, der die Koalition in Berlin gefährdete.

Am 26. September 2017 hielt Macron seine Rede - seither ist in Berlin eher wenig passiert

Wenige Tage vor dem EU-Gipfel hatten sich Macron und Merkel auf Schloss Meseberg getroffen und angekündigt, das "Versprechen Europas für Sicherheit und Wohlstand" zu erneuern. Von den angestoßenen Initiativen kommen einige schleppend voran, andere gar nicht. So sollten im Juni zwei Arbeitsgruppen gegründet werden, um bis Dezember Vorschläge vorzulegen, wie die Euro-Zone stabilisiert werden soll. Das ist bis heute nicht geschehen - obwohl es keine drei Monate mehr sind bis zum Gipfel im Dezember. Das Bundesfinanzministerium erklärte am Dienstag lediglich, man sei "auf allen Ebenen regelmäßig im Austausch".

In Berlin wird darauf verwiesen, dass acht Euro-Länder ohnehin die Meseberger Erklärung abgelehnt hätten. Das ist zwar richtig. Doch lehrt die europäische Erfahrung, dass es in der Euro-Zone so ist, dass vor allem die stärkste Volkswirtschaft die nötige Dynamik entwickeln kann, um Reformen voranzubringen. Immerhin: Der Jahrestag der Macron-Rede ist Christian Lindner eine Ankündigung wert. Die FDP teile Macrons Ziele von mehr Wirtschaftskraft und Stabilität in der Eurozone, sagte der Parteichef der SZ. Man sei mit Macrons Bewegung im Gespräch. "Vielleicht gelingt es uns, eine gemeinsame Plattform mit Blick auf die Europawahl auf die Beine zu stellen".

© SZ vom 26.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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