Europa:EU geht gegen Ungarn, Polen und Tschechien vor

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Weil die drei Länder sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, leitet die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Im Streit um die europäische Flüchtlingspolitik sieht die EU-Kommission die politischen Möglichkeiten als nahezu erschöpft an. Gegen Polen, Ungarn und Tschechien, die sich der Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien verweigern, greift sie nun zu ihrem härtesten Mittel und leitet ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Die drei Länder hielten sich trotz mehrmaliger Ermahnung nicht an einen Mehrheitsbeschluss der EU-Innenminister vom September 2015, sagte Innenkommissar Dimitri Avramopoulos am Dienstag in Straßburg. Dieser Beschluss lasse aber keine Wahlfreiheit, er sei rechtsverbindlich für alle.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise landeten täglich Tausende an den Außengrenzen der EU. Deshalb vereinbarten die EU-Staaten, im Laufe von zwei Jahren 160 000, später nur noch 98 000 Flüchtlinge in andere EU-Staaten zu verteilen. Ungarn und die Slowakei zogen dagegen vor den Europäischen Gerichtshof, nachdem sie ebenso wie Rumänien und Tschechien überstimmt worden waren. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet. Bisher wurden knapp 21 000 Asylbewerber umverteilt. Ungarn und Polen haben keine Flüchtlinge aufgenommen; Tschechien nahm zwölf auf und hat seit einem Jahr keine Zusagen mehr gemacht.

Auch Österreich hat keinen Asylbewerber aufgenommen. Es hatte bis März dieses Jahres wegen eigener hoher Flüchtlingszahlen zunächst eine Ausnahmeregelung erwirkt, hat nun aber erste Zusagen gemacht, was Avramopoulos lobend hervorhob. Der Grieche kritisierte die drei Regierungen sehr scharf. Europa heiße nicht nur, um Hilfsgelder zu bitten und Sicherheit zu garantieren. Es gehe auch um Solidarität und politische Verantwortung. "Europa heißt teilen." Dennoch äußerte der Kommissar die Hoffnung, dass Polen, Ungarn und Tschechen ihre Haltung noch überdenken und sich die Vernunft und der "europäische Geist" durchsetzen werden. Dann werde die Behörde die Verfahren stoppen. Diese beginnen mit einem offiziellen Brief aus Brüssel und könnten mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und einer Geldstrafe enden. Mit einem Kurswechsel der Osteuropäer ist indes nicht zu rechnen. Die betroffenen Regierungen halten das Prinzip, die Migranten möglichst solidarisch in den EU-Staaten zu verteilen, für grundfalsch. "Quoten funktionieren nicht", erklärte Tschechiens Ministerpräsident Bohuslav Sobotka, "sie führen nur zu noch mehr illegaler Migration und senken das Vertrauen der Bürger in die EU". Seine Regierung habe gute Argumente, deshalb glaube er nicht, dass Tschechien Sanktionen drohten. Polens Staatspräsident Andrzej Duda kritisierte die Kommission scharf. "Ich bewerte den Versuch, uns zu erpressen, absolut negativ", sagte er. Der Streit, der West- und Osteuropa trennt, hat auch die laufenden Verhandlungen über eine Reform des europäischen Asylsystems fast zum Stillstand gebracht. Ein dauerhaftes System für die Verteilung von Flüchtlingen in Krisenzeiten ist vorerst nicht in Sicht.

© SZ vom 14.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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