Europa:Affront mit einem Fonds

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Finanzminister Olaf Scholz (SPD) brüskiert die Union mit Plänen für eine europäische Arbeitslosenhilfe. Öko­nomen sehen das Konzept positiv.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

„Eine abgestimmte Position der Bundesregierung dazu gibt es nicht.“ Sagt der Regierungssprecher über die Pläne von Olaf Scholz. (Foto: Gregor Fischer/dpa)

Die große Koalition hat am Mittwoch im Bundestag den offenen Streit vermieden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verzichtete in ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfeltreffen darauf, einen Vorstoß ihres Vizekanzlers Olaf Scholz (SPD) öffentlich zurückzuweisen. Zuvor war ein deutsches Arbeitspapier bekannt geworden, in dem Scholz seine Pläne für eine europäische Arbeitslosenhilfe konkretisiert. Aus der Union verlautete daraufhin empört, die Pläne würden von Kanzleramt, Bundestagsfraktion und Wirtschaftsministerium nicht mitgetragen. Regierungssprecher Steffen Seibert versuchte zu beschwichtigen. Die Ministerien redeten noch untereinander, sagte er. "Eine abgestimmte Position der Bundesregierung dazu gibt es nicht."

Die Pläne von Scholz für einen Arbeitslosenfonds gehen zurück auf einen Arbeitsauftrag, der im Juni beim deutsch-französischen Gipfeltreffen in Meseberg vereinbart wurde. In der Erklärung des Gipfeltreffens heißt es, "der Fonds könnte den nationalen Sozialversicherungssystemen in einer Wirtschaftskrise, die mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten einhergeht, Geld leihen". Scholz schlägt vor, dass die Euro-Staaten einen Fonds gründen und füllen. Im Falle einer Krise - bei der die Arbeitslosigkeit signifikant ansteigt - kann sich eine nationale Arbeitslosenversicherung Geld leihen. Damit soll verhindert werden, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in der Krise emporschnellen. Der Fonds stärke die Solidarität unter den Mitgliedstaaten, schreibt Scholz. Die Kredite müssen binnen fünf Jahren zurückgezahlt werden.

Die Koalition will Europa voranbringen - umgesetzt hat sie von ihren Ideen bisher nichts

Merkel ging nicht direkt auf die Pläne ein. Es sei klar, dass die Währungsunion krisenfester gemacht werden müsse und "dass am Ende ein Gesamtpaket stehen muss", sagte die Kanzlerin, die nach ihrer Rede nach Brüssel zum Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs abreiste. Sie versuchte sich als Brückenbauerin zwischen Scholz und der eigenen Fraktion. Der Wegweiser der Regierung bleibe der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt. "Verantwortung und Solidarität sowie Haftung und Kontrolle sind zwei Seiten einer selben Medaille."

Ein offener Streit um eine so wichtige Sachfrage wie Europa hätte womöglich das vorzeitige Aus für die große Koalition in Berlin bedeutet. Das soll jedoch mit Blick auf die Wahl in Hessen Ende Oktober vermieden werden. Vom Ausgang der Wahl hängt ab, ob die Regierungskoalition im Bund weitermachen kann.

In der Unionsfraktion hatte man sich deshalb am Vormittag offenbar darauf geeinigt, Fachpolitiker vorzuschicken, um die Pläne von Scholz abzuweisen. "Die Unionsfraktion lehnt eine europäische Arbeitslosenversicherung ab", sagte Eckhardt Rehberg, haushaltspolitischer Sprecher. In der EU existiere bereits eine Vielzahl von Geldtöpfen, die Mitgliedstaaten in Notsituationen unterstützen. Der Sinn einer europäischen Arbeitslosenversicherung sei "nicht erkennbar". Martin Ferber, CSU-Finanzexperte im Europaparlament, warnte, vor den "aus deutscher Sicht fatalen Plänen", sie seien "der sichere Weg in die Transferunion".

Die SPD stellte sich geschlossen hinter den Vizekanzler. Parteichefin Andrea Nahles forderte mehr Europa, "und zwar jetzt". Deutschland müsse mit Frankreich bei den Reformen etwa in der Währungsunion vorangehen. Ziel sei es, mögliche Krisen besser zu lösen als bei der Finanzkrise 2008. Aus dem sozialdemokratisch geführten Bundesarbeitsministerium hieß es, die Pläne von Scholz seien "mit uns abgestimmt". Sie seien vernünftig, weil in Wirtschaftskrisen die Europäische Union und die Eurozone wirtschaftlich stabilisiert würden. Im Übrigen entsprächen sie "den positiven deutschen Erfahrungen aus der Krise 2008/2009".

Der Widerstand von CDU und CSU erscheint umso erstaunlicher, weil auch Ökonomen wie Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, den Plänen etwas Positives abgewinnen können. Fuest, der nicht im Verdacht steht, der SPD nahezustehen, sagte der Süddeutschen Zeitung, es sei gut, dass Scholz überhaupt einen Plan vorgelegt habe. Man brauche "konstruktive Vorschläge" aus Deutschland. Fuest plädiert dafür, ein Gesamtpaket an Reformen zu schnüren. "Wir brauchen Reformen, die Marktdisziplin fördern. Aber die funktionieren besser, wenn sie durch Solidarität flankiert sind", sagte Fuest. "Sonst haben sie keine Akzeptanz". Fuest hatte zusammen mit sechs deutschen und sieben französischen Ökonomen bereits vor einem Jahr weitreichende Reformvorschläge gemacht.

Union und SPD hatten bei den Koalitionsverhandlungen einen neuen Aufbruch für Europa versprochen. Umgesetzt ist davon so gut wie nichts. Vor allem in der Union ist der Widerstand groß.

© SZ vom 18.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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