Urteil zur EZB:Das Recht steht über dem Geld

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Die Europäische Zentralbank ist nicht der liebe Gott der EU. Ihr ist zwar Unabhängigkeit garantiert - aber Unabhängigkeit von den Regierungen, nicht vom Recht.

Von Heribert Prantl

Nicht die Geldkatze ist Europas Wappentier; und nicht die Gelddruckmaschine ist das Symbol der Europäischen Union; nicht der Euro hält Europa im Innersten zusammen, sondern die Kraft des Rechts. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg verkörpert diese Kraft; und er hat sie in seinem Urteil in Sachen Europäische Zentralbank (EZB) auf eine kluge Weise betont - vorsichtig; nicht auftrumpfend, aber doch bestimmt. Die EZB, so besagt das Urteil, ist zwar unabhängig, aber nicht ungebunden. Die EZB ist an die Europäischen Verträge gebunden und kann sie nicht interpretieren, ausdehnen, überschreiten.

Die EZB kann sich nicht ihr eigenes Recht setzen. Die EZB steht, bei allen Spielräumen, die das höchste Gericht Europas ihr währungs- und auch wirtschaftspolitisch einräumt, nicht über dem Recht. Das ist der Tenor des salomonischen Urteils. Kurz: Die EZB ist nicht der liebe Gott Europas. Die Grenzen setzt ihr das Recht, und die Einhaltung der Grenzen wird von den Richtern kontrolliert. Das ist keine leere Drohung. Die EU-Richter lassen zwar das (ohnehin nicht umgesetzte) Anleihenkauf-Programm mit Auflagen passieren. Sie nutzen das Urteil aber, um den Vorrang des Rechts zu postulieren. Es wäre ja auch eine Selbstkastration des Gerichts gewesen, wenn es sich für kraftlos erklärt und die EZB freigestellt hätte von rechtlichen Bindungen. Es darf in einem Europa, das als Rechtsgemeinschaft gegründet worden ist, keinen Politiker, Präsidenten, keinen Großmanager und auch keine Institution geben, die außerhalb des Rechts steht.

Die Europäische Zentralbank darf viel, aber sie darf nicht alles

Das ist eigentlich selbstverständlich. Aber das Selbstverständliche ist in einem durchökonomisierten Europa nicht mehr selbstverständlich. Das Urteil aus Luxemburg versucht daher, die Maßstäbe wieder zurechtzurücken. Gewiss: Der Europäischen Zentralbank ist Unabhängigkeit garantiert; das meint aber Unabhängigkeit von Regierungen, nicht Unabhängigkeit vom Recht. Das Ermessen der Euro-Banker ist zwar sehr weit, hat aber rechtlich kontrollierbare Schranken - die nicht nur vom Gerichtshof in Luxemburg, sondern auch (das sagen die Luxemburger indirekt) vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe kontrolliert werden können. Das bedeutet: Ausbrechende Rechtsakte, die jenseits der EU-Verträge liegen, darf auch das Bundesverfassungsgericht verdammen.

Mit dem Votum der Luxemburger EU-Richter wird das Karlsruher Verfassungsgericht zufrieden sein; es wollte Auskunft darüber haben, ob die EZB die Grenzen ihres Handelns selbst bestimmen darf. Antwort: Nein, das darf sie nicht. Gewiss ist es so, dass derjenige, der die Notenpresse anwerfen kann, gewaltige Macht hat; das Recht des Stärkeren ist sozusagen auf seiner Seite. Aber die europäische Idee ist nicht die vom Recht des Stärkeren, sondern die von der Stärke des Rechts.

Die EZB darf viel, aber nicht alles. Wo das Viele endet, bestimmt das Recht. Und was Recht ist, bestimmen nicht die Chefs der Zentralbank, sondern die Richter. Deren Unabhängigkeit ist genau dafür da.

© SZ vom 17.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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