EU:Weit entfernt von einer gemeinsamen Lösung

Lesezeit: 2 min

Europas Inneminister treffen sich zu einer Krisensitzung in Brüssel. Sie haben trotz allem bisher in der Flüchtlingspolitik keine Linie gefunden, alle Vorschläge sind umstitten.

Von Thomas Kirchner

In Brüssel spricht man von einer Ausnahmemaßnahme. "So rasch wie machbar" will die EU-Kommission zum normalen Schengen-System mit offenen Grenzen zurückkehren. Doch ist das überhaupt machbar? Die Entscheidung Berlins, zumindest zeitweise wieder Grenzkontrollen einzuführen, zeigt: Länder wie Deutschland, die die Hauptlast der Flüchtlingswelle stemmen, brauchen Hilfe seitens der anderen Unionsstaaten, sonst können sie nur scheitern. Insofern reist Innenminister Thomas de Maizière an diesem Montag mit einer starken Verhandlungsposition zum Sondertreffen mit seinen Kollegen nach Brüssel. Er kann mit der Macht des Faktischen auf jene "konkreten Anzeichen von Solidarität und Einigkeit" pochen, die auch EU-Ratspräsident Donald Tusk sehen möchte. Berlin fordert die politische Zustimmung aller zum Plan der EU-Kommission, 120 000 Flüchtlinge aus Griechenland, Ungarn und Italien in den kommenden zwei Jahren auf andere Staaten umzulenken. Die Zahl mag gering erscheinen angesichts der Hunderttausenden, die allein in diesem Jahr nach Deutschland reisen. Aber der Plan ist politisch deshalb so wichtig, weil er das System ändert: Er ergänzt das Dublin-Prinzip, alle Last den Grenzstaaten aufzubürden, um ein solidarisches Moment (auf das Deutschland erst besteht, seit es selbst Hauptbetroffener ist)

Eine Option könnte sein, dass Staaten Geld zahlen, statt Flüchtlinge aufzunehmen

. Bisher zögernde Staaten wie Spanien oder Portugal erklären sich nun bereit, die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge aufzunehmen. Auch Osteuropäer zählen offenbar dazu. Das Problem wird, wie schon bei der zähen Umverteilung von 40 000 Flüchtlingen, die Verbindlichkeit sein. Die Osteuropäer wollen keine festen Quoten; Ungarn hält von der ganzen Idee nichts und klinkt sich aus. Die luxemburgische Ratspräsidentschaft hat eine knifflige Aufgabe. Sie muss, wie es ein deutscher Diplomat ausdrückt, "die Sache verbindlich machen, ohne das Wort ,verbindlich' zu benützen".

Sollte das gelingen, dann nur in Form eines typischen Brüsseler Deals, der Geben und Nehmen kompliziert vermengt. Eine Rolle könnte die Option spielen, die es Staaten ermöglichen soll, Geld zu zahlen, statt Flüchtlinge aufzunehmen. Eigentlich soll sie nur bei Naturkatastrophen gezogen werden können, oder bei einem schlagartigen wirtschaftlichen Abschwung, aber die Kriterien ließen sich lockern oder erweitern. Deutschland lehnt die Klausel ab, weil sie das System ad absurdum führen würde. Eine weitere Idee, wie sich der Verhandlungsspielraum vergrößern ließe, brachte EU-Kommissar Günther Oettinger am Wochenende ins Spiel. Er schlug vor, kleineren Staaten, "die bisher wenig Erfahrung mit Flüchtlingen haben", mehr Zeit zu lassen, ihre Quotenpflicht zu erfüllen.

Die Flüchtlingskrise wird zur Bewährungsprobe für die EU. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Alle anderen Vorschläge der Kommission sind weniger umstritten: die gemeinsame Liste sicherer Herkunftsstaaten, auf der die Türkei nicht stehen wird, der Treuhandfonds für Afrika sowie diverse Maßnahmen, um die Rückführung von Flüchtlingen zu verbessern. Denn die Kommission vertritt keineswegs eine Politik der offenen Tür für alle. Wer nicht in der EU bleiben darf, soll gehen müssen, so die Kommission: "Eine konsequente Rückkehrpolitik ist die Voraussetzung für eine solide Asylpolitik." Nur 40 Prozent der Migranten, die aus der EU ausgewiesen wurden, hätten die Union 2014 auch wirklich verlassen. Hier sollen ein gemeinsames Handbuch für die Rückführung und mehr Kompetenzen für die Grenzschutzagentur Frontex Abhilfe schaffen.

Damit die Flüchtlinge bei der Ankunft in der EU nicht länger unregistriert weitergeschickt werden, will die Kommission acht Brennpunktzentren in Griechenland und Italien bauen. Dort sollen Flüchtlinge mit Hilfe von EU-Beamten identifiziert werden und Asylanträge stellen können. Dort sollen Frontex-Leute aber auch "Wirtschaftsflüchtlinge" aussortieren und sofort abschieben. Nach Ansicht von Pro Asyl könnten auf diese Weise an den Außengrenzen der EU "riesige Internierungslager" entstehen.

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: