EU-Regulierungen:Befreiung aus dem Würgegriff der Kommission

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Deutschland, Frankreich und Großbritannien stemmen sich gegen die EU-Bürokratie. Nach Ansicht der Großen Drei behindern viele Beschlüsse aus Brüssel Europas Wirtschaft. Ein Superkommissar für Wirtschaft, soll in Zukunft unnötige Regulierungen verhindern.

Von Alexander Hagelüken und Ulrich Schäfer

(SZ vom 18.2.2004) Die Herren waren sauer, ihre Wortwahl harsch. In einem Brandbrief forderten die drei Regierungschefs vergangenen Herbst von der EU-Kommission, Europas Wirtschaft keine unnötigen Lasten aufzubürden. Gerhard Schröder, Jacques Chirac und Tony Blair warnten vor einem eurobürokratischen Würgegriff für Unternehmen und Arbeitsplätze. Es drohe eine "De-Industrialisierung".

100 Richtlinien für die Autoindustrie

Starke Worte, die Wirkung zeigten: Die Brüsseler Kommission schwächte ihre Pläne ab, Chemiekonzerne mit einem dichten Netz von Kontrollen und Auflagen zu überziehen. Das Chemikalienrecht war der erste Testfall für die neue Industriepolitik, die Europas mächtigem Trio vorschwebt.

Die drei Granden kämpfen auf ihre Weise für Jobs und Wachstum. Sie wollen alle Vorschläge aus der EU-Gesetzesmaschine daraufhin durchleuchten, ob sie der Wirtschaft schaden - und unnötige Regulierung und Umweltauflagen verhindern.

"Ohne Push ist nichts zu erreichen"

Die Autoindustrie etwa klagt darüber, von 100 Brüsseler Richtlinien betroffen zu sein, was die Produktion eines Neuwagens im Vergleich zur internationalen Konkurrenz um mehr als 5000 Euro verteuere.

Europas Schwergewichte verstehen ihre Initiative als Beitrag zu dem vollmundigen EU-Plan, den Kontinent bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen und damit die USA zu überholen.

In Berlin macht man kein Hehl daraus, dass die Europäer ihrem so genannten Lissabon-Ziel bisher nicht wirklich näher gekommen sind: "Klar ist, dass dies ohne neuen Push nicht zu erreichen ist", räumen Vertreter der Bundesregierung ein.

Ein Superkommissar wie der Superminister

Schröder, Chirac und Blair wollen deshalb die Ausgaben für Forschung und Entwicklung kräftig erhöhen, die Arbeitsmärkte weiter flexibilisieren, kleine und mittlere Unternehmen besser fördern und die Reform der Sozialsysteme vorantreiben.

Am besten sollen schon auf dem EU-Gipfel Ende März präzise Initiativen beschlossen werden - was sich mit dem Plan der irischen Ratspräsidentschaft deckt, die sanft dösende Lissabon-Agenda mit fünf konkreten Maßnahmen wiederzubeleben. Dazu passt das Berliner Vorhaben, die Industriepolitik in der neuen EU-Kommission von November an deutlich zu stärken.

Beitrittsländer skeptisch

Ein Superkommissar für Wirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit und Industrie, den die Großen Drei an diesem Mittwoch offiziell vorschlagen wollen, soll die wichtigsten Felder der Wirtschaftspolitik koordinieren; ähnlich wie dies in Berlin Superminister Wolfgang Clement versucht.

Dass der Neue in Brüssel möglichst ein Deutscher sein sollte, versteht sich zumindest aus Sicht des Bundeskanzlers fast von selbst: Das beschriebene Portfolio "wäre mit Sicherheit ein Themenbereich, der für uns hochinteressant wäre", versichert man im Umfeld des Kanzlers.

Verdacht der einseitigen Machtverteilung

Gerhard Schröder hegt die Idee des "Superkommissars" seit längerem. Auch der britische Schatzkanzler Gordon Brown ließ vor wenigen Tagen durchblicken, er wolle das Thema Wirtschaftsreformen in der EU-Kommission höher ansiedeln und damit künftig einen Vizepräsidenten des Gremiums beauftragen.

In anderen Mitgliedstaaten dürfte die Idee auf Skepsis stoßen. Nach der Erweiterung der EU auf 25 Staaten wird es künftig ebenso viele Kommissare geben. Die Zeichen stehen also nicht auf Zusammenlegung von Ressorts, sondern auf Verwässerung: Jedes Mitglied reklamiert einen halbwegs wichtigen Aufgabenbereich für sich. Schröders Plan könnte in den Verdacht geraten, die Macht einseitig zu Gunsten der großen Länder zu verteilen.

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