EU-Handelspolitik:Die Zukunft ist nicht Käse

Lesezeit: 2 min

Brüssel sollte nicht jedem agrarischen Protektionismus hinterherlaufen.

Von Alexander Hagelüken

Vor Jahren wäre der EU-Handelspakt Ceta mit Kanada fast an der kleinen Wallonie gescheitert. Belgiens Region forderte weniger Klagerechte für Konzerne. Nun droht Ceta wieder zu scheitern: am noch kleineren Zypern, das Konkurrenz für seinen Halloumi-Käse fürchtet. Europa muss Freihandel mit Umwelt- und Verbraucherfragen ausbalancieren, sonst erlebt es einen großen Rückschritt.

Die EU folgt in der Handelspolitik einer bewährten Mechanik. Erst Industrialisierung und freie Exporte haben die Europäer aus der Armut befreit. Neue Handelspakte mit Kanada oder Südamerika steigern den Wohlstand, deshalb sind sie grundsätzlich richtig. Europas Zukunft liegt nicht im Verkauf von Schweinehälften oder Halloumi-Käse, sondern von Maschinen und Dienstleistungen.

Allerdings gewöhnten sich Brüssels Fachleute daran, Handelsverträge im Hinterzimmer abzuschließen. Im Vertrauen, dass sie ja das Richtige tun und sich eh kein Bürger für Details interessiert. Daher waren die Experten völlig überrascht, als plötzlich Hunderttausende Demonstranten aufmarschierten. Zwar war manche Kritik etwa am TTIP-Vertrag mit den USA sachlich falsch, doch die Demonstranten stellten die richtigen Fragen. Wohlstand geht nicht vor Umwelt und die Rechte von Verbrauchern. Man muss alles berücksichtigen und den Bürgern darlegen, dass man das im Vertrag auch tut.

Stattdessen reagierten die EU-Experten pomadig, die Regierungen duckten sich weg - und machten so die Kritiker stark. Außer bei Ceta droht nun beim Mercosur-Vertrag mit vier Staaten Südamerikas ein Fiasko. Ein Abkommen mit dem brasilianischen Rechtspopulisten Jair Bolsonaro, dem der Regenwald egal zu sein scheint? Bloß nicht. In EU-Staaten regt sich Widerstand. Europa sollte Mercosur aber nicht aufgeben, sondern die Kritiker überzeugen. Zum einen wegen des Wohlstands, der Vertrag schafft Zölle auf Europas Autos und Arzneien von bis zu 35 Prozent ab. Zum Zweiten berücksichtigt er die Umwelt. Brasilien geht etwa eine Verpflichtung ein, die Entwaldung zu bekämpfen. NGOs erhalten das Recht, die Umsetzung der Umweltkapitel zu überwachen.

Es ist die alte Frage, ob sich bei einem wie Bolsonaro mehr erreichen lässt, wenn man mit ihm redet, statt ihn zu ignorieren. Es spricht viel dafür, dass Europa mehr Einfluss nehmen kann, wenn Bolsonaro wirtschaftliche Interessen mit der EU hat, als wenn sie ihm die Türe vor der Nase zuknallt. Es sollte niemand glauben, dass es besser für die Umwelt ist, wenn Südamerika stattdessen mehr Handel mit China oder den USA treibt.

Die Kritiker könnten anerkennen, dass sich die EU gewandelt hat. Sie hat inzwischen die Klagerechte für Konzerne eingeschränkt, die damals der Wallonie aufstießen. Brüssel muss aber nicht jedem agrarischen Protektionismus wie beim Halloumi-Käse hinterherlaufen. Künftig sollte es ausreichen, Handelspakte für 450 Millionen Bürger von Regierungen und EU-Abgeordneten billigen zu lassen - und nicht von einzelnen, gar regionalen Parlamenten.

In der Brüsseler Handelspolitik steht viel auf dem Spiel. Europa muss seinen Platz zwischen Alt-Protektionisten wie China und Neu-Protektionisten wie den USA behaupten. Dabei neue Verträge mit dem Rest der Welt abzuschließen, ist im Interesse seiner Bürger.

© SZ vom 07.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: