EU:Die Gipfel-Frage lautet: Juncker, Ja oder Nein?

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Brüssel (dpa) - Eine Personaldebatte der besonderen Art beherrscht den Dinner-Gipfel der EU-Staatenlenker. Denn bei der Kür des künftigen Kommissionspräsidenten redet das selbstbewusste Europaparlament mit.

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Brüssel (dpa) - Eine Personaldebatte der besonderen Art beherrscht den Dinner-Gipfel der EU-Staatenlenker. Denn bei der Kür des künftigen Kommissionspräsidenten redet das selbstbewusste Europaparlament mit.

Das Spitzen-Treffen ist informell und beschränkt sich auf ein gemeinsames Abendessen. Doch die europäischen Staats- und Regierungschefs wecken mit ihrem Brüsseler Dinner-Gipfel hohe Erwartungen. Denn am vergangenen Sonntag waren rund 400 Millionen Europäer aufgerufen, ein neues, gemeinsames Parlament zu wählen.

Und im Wahlkampf präsentierten sich zum ersten Mal Spitzenkandidaten der Parteien für den Job des EU-Kommissionspräsidenten. Der Luxemburger Jean-Claude Juncker ging als stärkster Anwärter für den Top-Posten durchs Ziel.

Unmittelbar vor dem Spitzentreffen der „Chefs“ am Dienstagabend bekommt der frühere luxemburgische Premier und Euro-Retter Juncker überraschend schnelle und deutliche Rückendeckung aus der Volksvertretung. Da seine konservative Europäische Volkspartei (EVP) die größte politische Familie ist, werde er als erster versuchen, eine Mehrheit zu bilden, entschieden die meisten Fraktionschefs. Vortritt also für den EU-Routinier, der seit drei Jahrzehnten auf dem Brüsseler Parkett steht.

Während das Parlament sich rasch festlegt, dürfte es bei den Staatenlenkern dauern. In deren Reihen gibt es wenig Neigung, die Spitzenpersonalie schnell zu entscheiden. „Mit dem Abendessen beginnt das Auswahlverfahren, es endet nicht“, meint ein Diplomat.

Von Wochen ist die Rede, vielleicht gebe es einen Beschluss beim Sommergipfel am 26. und 27. Juni, vielleicht werde es aber auch länger dauern. Die „Chefs“ haben nach den Wahlen das Heft in der Hand, denn sie müssen nun erst einmal einen Kandidaten vorschlagen.

„Der Europäische Rat (der Staats- und Regierungschefs) schlägt vor, das Parlament wählt - die Kunst besteht darin, die nötigen Mehrheiten zu finden, einen breiten Konsens“, meint einer, der täglich im europäischen Postenpoker mitmischt.

Die Gründe für den Bremskurs in der Gipfelrunde sind vielfältig. Da ist der britische Premier David Cameron, der nach Expertenansicht alles versuchen wird, um Juncker als Kommissionschef zu verhindern. Juncker, der als früherer Chef der Eurogruppe wie kaum ein zweiter für die Strategie „Mehr Europa!“ steht, ist für den britischen Premier, der nach mehr Unabhängigkeit strebt, ein rotes Tuch. „Es sieht nicht sehr vielversprechend für ihn aus“, meint Mats Persson, Chef des Forschungsinstitutes Open Europe in London.

Nach dem Sieg der rechtspopulistischen UKIP bei der Europawahl in seinem Land steht Cameron erheblich unter Druck und dürfte auf Zeit spielen, lautet die Erwartung in der Europahauptstadt. Vorbehalte gegen Juncker gibt es auch in Budapest - der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orban kündigte bereits an, die Abgeordneten seiner Fidesz-Partei, die der EVP angehören, würden den Luxemburger nicht unterstützen.

Und da sind andere, unter ihnen Kanzlerin Angela Merkel, die freundlich darauf hinweisen, dass es in diesem Sommer um ein ganzes europäisches Personalpaket gehe. So müssen Nachfolger für Gipfel- Gastgeber Hermann Van Rompuy und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton gefunden werden. Und gerade der neue Gipfel-Chef ist eine exklusive Sache der „Chefs“, bei der das Parlament nichts mitzureden hat.

Wie auch immer das Postengeschachere ausgeht: Am Ende dürfte für die Brüsseler Spitzeninstitutionen eine Art große Koalition entstehen. Im Parlament arbeiten die Konservativen und die Sozialdemokraten als größte Gruppen schon seit Jahren informell zusammen, um ausreichende Mehrheiten für Gesetze zu erreichen. Dieser Trend dürfte sich angesichts neuer populistischer und rechtsgerichteter Kräfte verstärken. Die bei der Europawahl zweitplatzierten Sozialdemokraten geben bereits entsprechende Signale.

Der scheidende Fraktionschef Hannes Swoboda kündigt an, dass „wir Sozialdemokraten für Martin Schulz eine starke Position in der Kommission verlangen. Aber die Nummer Eins wird Herr Juncker sein“, stellt Swoboda klar, „wenn er mit einem guten Programm kommt, das nicht nur wiederholt, was wir schon hatten, sondern auch ein paar neue Akzente setzt.“

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