EU-Bericht:Mehr als tausend geheime CIA-Flüge in Europa

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Abgeordnete halten Entführungen für erwiesen. US-Menschenrechtler: Gefangenen-Misshandlung weit verbreitet

Christian Wernicke

Der US-Geheimdienst CIA ist nach Angaben von Ermittlern des Europaparlaments seit dem Jahr 2001 mehr als tausend Mal unangemeldet über europäisches Territorium geflogen. Die CIA sei "eindeutig verantwortlich für die Entführung und illegale Gefangennahme mutmaßlicher Terroristen auf dem Grundgebiet der Mitgliedstaaten", stellten die Abgeordneten am Mittwoch in Brüssel fest.

Allein 437 dieser illegalen Flüge hätten über deutsches Territorium geführt. Der nun nach viermonatiger Arbeit vorgelegte Zwischenbericht des CIA-Sonderausschusses basiert auf den Vernehmungen von mehr als 50 Zeugen sowie auf Daten, die von Eurocontrol, der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt, geliefert worden waren.

Ausschussmitgliedern zufolge handelte es sich bei den geheimen Übergaben von Terrorverdächtigen an US-Agenten offenbar auch nicht um isolierte Einzelfälle. Vielmehr seien diese Aktionen oft von denselben Personen ausgeführt worden. Der italienische Berichterstatter des Ausschusses, Claudio Fava, warf den europäischen und deren assoziierten Regierungen "schuldhafte Untätigkeit" vor.

Menschenrechtsorganisationen erhoben zudem am Mittwoch erneut schwere Vorwürfe gegen das US-Verteidigungsministerium: Die Misshandlung von Gefangenen in den Händen von US-Militärangehörigen sei "weit verbreitet", zudem sei die Armeeführung nur zögerlich und ungenügend Berichten von Folter und brutalen Übergriffen nachgegangen.

Kein Offizier zur Rechenschaft gezogen

Die Studie spricht von mindestens 330 Fällen, in denen mehr als 460 Häftlinge misshandelt worden seien. Mehr als 600 US-Offizielle werden der Folter beschuldigt, unter ihnen 570 Soldaten. Bis heute sei kein Offizier für Verfehlungen seiner Untergebenen zur Rechenschaft gezogen worden. Als Konsequenz fordern Human Rights Watch und Human Rights First den amerikanischen Kongress auf, unverzüglich eine unabhängige Kommission zur Untersuchung dieser Praktiken im Irak, in Afghanistan und dem US-Militärstützpunkt Guantanamo auf Kuba einzusetzen. Vorwürfe über Folter in geheimen CIA-Lagern hatten die Organisationen ausdrücklich ausgeklammert.

Der Bericht, publiziert exakt zwei Jahre nach der ersten Veröffentlichung von Folterfotos aus dem US-Gefängnis im irakischen Abu Ghraib, bemängelt, die US-Militärführung sei bestenfalls der Hälfte aller Vorwürfe angemessen nachgegangen. Nur ein Drittel der Beschuldigten sah sich anschließend Disziplinarverfahren oder strafrechtlichen Untersuchungen ausgesetzt.

Nach 210 Untersuchungen mit insgesamt 410 Beschuldigten blieben drei Viertel ohne Folgen. Nur 79 Soldaten seien letztlich vor ein Kriegsgericht gestellt worden, in nur zehn Fällen seien Gefängnisstrafen von mehr als einem Jahr verhängt worden.

Bemängelt wird in der Studie insbesondere, dass bisher nur Soldaten belangt wurden, nicht aber ihre Vorgesetzten. Jedoch gab die US-Armee bekannt, man prüfe die Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Oberstleutnant, der einst Leiter des Verhörzentrums in Abu Ghraib war.

© SZ vom 27. April 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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