Ernährungsexperte:"Da tanken sie Energie"

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Holger Pfefferle über das Streitthema Schulessen - und wie man dort bundesweit Fortschritte erreicht hat

Interview von Gianna Niewel

Deutsche Schulen unterscheiden sich stark voneinander, das gilt nicht nur für fehlendes Personal oder schlechte Betreuung. Ein großer Streitpunkt in Ganztagsschulen ist oft das Essensangebot. Ohne Mahlzeit kein Nachmittagsunterricht. Holger Pfefferle ist gelernter Koch und studierter Ernährungswissenschaftler. Bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung kümmert er sich darum, dass Standards umgesetzt werden.

SZ: Wenn Schüler mehr Zeit in der Schule verbringen, wird das Schulessen immer wichtiger. Wieso ist sein Ruf so schlecht?

Holger Pfefferle: Er ist schon deutlich besser geworden, die Kritik aus den vergangenen Jahren fruchtet. Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg hat 2014 in einer Studie 210 Schulträger befragt, 12 5 000 Schüler und 1550 Schulleiter. Bundesweit. Das Ergebnis: Die Auswahl ist größer geworden, ein Drittel der Schulen bietet heute ein Salatbuffet an, zwei Drittel kostenlose Getränke.

Trotzdem ist das Jammern allgegenwärtig über verquollenen Reis und matschige Erbsen.

Wir haben schon vor einiger Zeit Qualitätsstandards für Schulessen festgesetzt. Zumindest ein Salat an jedem Tag, maximal zweimal die Woche Fleisch oder Fisch. Dann magere Putenbrust, Seelachsfilet, Hühnerfrikassee. Gemüse und Obst sind wichtig, als Sticks oder als Dessert. Als Getränke keine süße Limonade, sondern ungezuckerte Tees und Wasser.

Halten sich die Schulen daran?

Da hakt es. Bislang haben nur das Saarland und Berlin die Standards verpflichtend in ihren Ländergesetzen verankert. Es reicht nicht, wenn wir die nur in Tabellen und Grafiken aufschreiben. Sie müssen eingehalten werden - und ihre Einhaltung überprüft.

Es wurde nicht nur das Essen untersucht.

Gerade für die älteren Schüler geht es - schon bevor sie überhaupt den Speiseplan anschauen - um eine ganz andere Frage: Wie cool ist die Kantine?

Was heißt "cool" - Poster an den Wänden?

Nicht ganz. Es geht auch hier um das Angebot. Die Älteren haben oft keine Lust, sich gemeinsam mit Fünftklässlern anzustellen und mit Tablett und Teller auf ihr Essen zu warten. Die wollen vielleicht nur einen Salat, und den auf dem Schulhof essen. Oder sie wollen in der Pause noch kurz in die Stadt und auf dem Weg einen Wrap mit Hühnchen snacken. Vielleicht wollen sie auch nur ein saftig belegtes Brötchen, weil sie abends warm essen.

Ganz schön viele Ansprüche.

Natürlich. Aber es ist nicht so schwer, ihnen gerecht zu werden. Im Idealfall setzen sich alle Verantwortlichen an einen Tisch und reden. Und das regelmäßig: Lehrer, Elternvertreter, der Schulleiter, der Caterer - und natürlich Schüler. Was wünscht ihr euch? Wie können wir euch entgegenkommen? Gutes Schulessen ist immer eine gemeinsame Sache. Und es ist wichtig, weil die Schüler beim Mittagessen etwa ein Viertel der für den Tag empfohlenen Nährstoffe zu sich nehmen können. Da tanken sie Energie, um in der achten Stunde Mathe nicht nur durchzustehen, sondern konzentriert und leistungsfähig zu sein.

In der Theorie klingt das einfach. Praktisch aber hat ja jede Schule ein eigenes System.

Die Schulträger vergeben die Aufträge für die Verpflegung, und das meist im Alleingang. Viele Schulen haben keine voll ausgestattete Küche. Mal verkauft also ein Hausmeister Brote. Mal wird Essen zugeliefert, da ist es wichtig, wie die Warmhaltezeiten sind, dass der Brokkoli noch grün ist, wenn er dann serviert wird. Wer sich ohnehin schon mit Gemüse schwertut, wird erst recht nicht zugreifen, wenn es verkocht ist.

Qualität kostet.

Womit wir beim nächsten Punkt wären, denn auch die Preise für das Essen schwanken. In Grundschulen bezahlen die Eltern durchschnittlich 2,80 Euro, an weiterführenden Schulen 3,05 Euro. In Bayern kostet das Mittagessen schon mal über vier Euro, in Thüringen nur zwei. Das hängt ja auch mit den Subventionen zusammen.

Kann man da einzelne Bundesländer vergleichen?

Nein, dazu sind die Voraussetzungen zu unterschiedlich. Das reicht viel weiter: Manche Kommunen bezuschussen zum Beispiel das Essen, andere nicht. Es kommt auf die Größe der Schule an: Wer als Caterer für 1000 Schüler kocht, kauft Milch in Paletten und Kartoffeln in Säcken und damit zu ganz anderen Preisen als jemand, der nur 50 Jungs und Mädchen versorgt. Wenn ein Schulkoch Strom und Wasser mitnutzen kann, ist das auch eine Form von Subvention.

Ein ganz schönes Kompetenzgewirr.

Und wir sind noch nicht fertig.

Wer fehlt?

Die Eltern. Eine Elfjährige wird sich kaum mehr Rohkost in der Kantine wünschen, wenn sie von zu Hause Pizza und Spaghetti gewöhnt ist.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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