Ermittlungen:Im Klub der Saubermänner

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"Jeden Cent wert." Dieser Satz war Gesetz bei VW - bis vor einer Woche. Martin Winterkorn (li.) mit Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Porsche. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Die Staatsanwälte ermitteln in einem Konzern, in dem es eine Regel gibt: Man darf sich nicht erwischen lassen. In früheren VW-Affären waren die Strafverfolger mitunter recht zahm.

Von Hans Leyendecker

Knapp hundert Staatsanwaltschaften gibt es in Deutschland. Fast jede von ihnen ist ein eigenes Biotop. Die großen unter den Strafverfolgungsbehörden gehen nach unterschiedlichen Mustern vor. In Wirtschaftsstrafverfahren passiert es nicht selten, dass Staatsanwälte flächendeckende Durchsuchungen bei Gericht beantragen, bevor sie loslegen. "Was man nicht im ersten Zugriff bekommt, bekommt man nie mehr", sagt einer der erfahrensten Strafverfolger der Republik.

Die Münchener Ermittler machen das in der Regel so, die Kölner, die aus ihrer rheinischen Lethargie des "Et-kütt-wie-et-kütt" (Es kommt, wie es kommt) erwacht sind, machen das mittlerweile auch, aber die Staatsanwaltschaft Braunschweig, eine Zentralstelle für Wirtschaftsstrafverfahren in Niedersachsen, macht das häufig anders. Am Montagmittag teilte die Behörde mit, sie habe "aufgrund von Strafanzeigen" ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn wegen Betrugsverdachts eingeleitet. Von Durchsuchungen war in der Mitteilung nicht die Rede. Zielrichtung der Ermittlungen sei "insbesondere die Klärung von Verantwortlichkeiten".

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat immer wieder mit Auffälligkeiten im Dunstkreis von VW zu tun. Dass Mitarbeiter sich auf Kosten des Konzerns bereichern wollen, passiert nicht so selten. Auch ist die Branche der Automobilzulieferer kein Sängerverein. Mit Geschichten rund ums Auto und die Menschen ist die Staatsanwaltschaft also vertraut. Das ruhige Vorgehen der Ermittler am Montag erinnert zunächst an ihr Verhalten in einem anderen großen Fall, in dem es vor gut zehn Jahren um Innereien von VW ging. Verglichen mit den Tatbeständen von einst ist die neue Affäre weit weniger intim. Es ging damals um Lustreisen für VW-Betriebsräte und um exklusive Sonderboni. Es gab den Verdacht, dass der damalige Betriebsratschef und andere Arbeitnehmervertreter durch Wohltaten für die Modellpolitik des Konzerns gekauft worden waren.

Auffällig bedachtsam war die Staatsanwaltschaft zunächst mit VW, dem großen Arbeitgeber in Niedersachsen, damals umgegangen. Die Revisions- und die Rechtsabteilung des Konzerns hatten Unterlagen an die Braunschweiger Ermittler weitergegeben. Die hatten dann das Verfahren eingeleitet und begnügten sich erst mal mit dem ihnen gelieferten Material.

Bei der Affäre um Lustreisen stachelte erst ein Pressebericht die Ermittler richtig an

Dann begann die Affäre zwei, die aus dem Fall erst den ganz großen Skandal machte. Ein ehemaliger Personalmanager, der sauer war, dass ihn die Großen, denen er jahrelang sehr diskret Gefälligkeiten erwiesen hatte, fallen ließen, packte im Stern aus. Er wollte nicht allein untergehen und berichtete anschaulich, wie er als Verbindungsmann zwischen Personalvorstand und Betriebsrat Lustreisen für damalige Arbeitnehmervertreter organisiert hatte.

Auf die Einzelheiten kommt es heute nicht mehr an. Es ging, kurz gesagt, um teure Nächte und teure Frauen in Lissabon, São Paulo und Prag. Der Weltenlauf bei VW erwies sich als wenig moralisch. Der Fall wurde erst nach der Veröffentlichung in dem Magazin von der Strafverfolgungsbehörde nicht mehr als Allerweltsverfahren behandelt. Die Staatsanwälte rotierten plötzlich. Gegen ein damaliges prominentes Vorstandsmitglied wurden Ermittlungen eingeleitet. Es gab eine Öffentlichkeit, die Fragen stellte - ähnlich wie heute. Eine dreizehnköpfige polizeiliche Ermittlungsgruppe wurde gegründet. Die Staatsanwaltschaft kooperierte mit VW und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, die im Auftrag des Konzerns Akten sichtete. Als der Fall ganz groß geworden war, fand auch eine Durchsuchung in der VW-Chefetage statt. Die Privatwohnungen von Vorständlern blieben aber unbehelligt.

Die Welt lernte damals drei VW-Regeln, die sich möglicherweise auch auf den heutigen Fall übertragen lassen:

Regel eins: Wer förderlich ist und eine gute Idee hat, darf sich vieles erlauben.

Regel zwei: Alles muss, nach außen, ganz sauber zugehen.

Regel drei: Man darf sich nicht erwischen lassen.

Womöglich spielt sich auch dieses mal im Hintergrund ein Machtkampf ab

Nun sind die Ermittlungen gegen Winterkorn gerade angelaufen. Ihnen liegen vor allem Strafanzeigen von Bürgern zugrunde, die Zeitungen gelesen haben und jetzt alles zu wissen glauben. Auch hat die Volkswagen-AG laut Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige "ohne Benennung eines Beschuldigten" abgegeben. Das macht man so. Der Anfangsverdacht gegen Winterkorn ist längst kein Urteil. Für den Ex-Chef gilt die Unschuldsvermutung. Jedes Jahr werden in der Republik mehr als vier Millionen Ermittlungsverfahren eingeleitet, und die allermeisten werden eingestellt. Man wird sehen, ob etwas strafrechtlich bleiben wird oder nicht.

Auch ist die Frage, ob hier einer vorgeführt wird, so absurd gar nicht. Damals, in dem großen Lustreisen-Fall, fiel auf, dass sich im Hintergrund ein Machtkampf abspielte. Es wurde mit harten Bandagen gekämpft und es ging manchem Akteur auch darum, den Fall für eigene Interessen zu nutzen. Im Winterkorn-Lager kursieren Spekulationen, der bisher mächtigste Mann des Konzerns werde von einer unheimlichen Macht vorgeführt. Ob die Staatsanwälte da einen echten Einblick in die Abläufe bekommen werden, ist noch unklar.

Aus dem vor rund zehn Jahre eingeleiteten Verfahren wurde ein Gerichtsprozess, in dem am Ende kräftig gedealt wurde. Die meisten der Angeklagten kamen mit vergleichsweise erträglichen Bewährungsstrafen davon. Ruiniert war allerdings ihr Ruf. Weil die Staatsanwaltschaft sich lange Zeit mit den von VW gelieferten Informationen begnügt hatte, fehlte im Prozess wichtiges Material. Was zweifelhaft war, war nicht in Zweifel gezogen worden.

Der heutige Intim-Gegner von Winterkorn, der langjährige Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piëch, war in dem Prozess als Zeuge aufgetreten und er sagte eindrucksvoll, er habe von nichts gewusst.

Piëch erklärte, wie es in seiner Welt zugehe. Anständig und streng. Wenn einer bei VW erwischt werde, wie er eine Zündkerze klaue, so werde der "fristlos entlassen". Bei Unregelmäßigkeiten werde sofort die Revision in Gang gesetzt. Das sei gewöhnlich die "schärfste Polizei" im VW-Reich.

© SZ vom 29.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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