Erblastentilgungsfonds:Zweifelhaftes Bravourstück

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Die Bundesregierung hat die 170 Milliarden Euro DDR-Schulden - anders als behauptet - doch noch nicht getilgt. Die FDP wirft der Kanzlerin Täuschung vor.

C. Hulverscheidt und P. Blechschmidt

Es kommt nicht alle Tage vor, dass der FDP-Bundestagsabgeordnete Carl-Ludwig Thiele einen Skandal aufdeckt. Eigentlich ist ihm das noch nie gelungen. In dieser Woche schien es so weit zu sein. Thiele hatte zwei gleichlautende Aussagen der Bundeskanzlerin und ihres Vizekanzlers unter die Lupe genommen und Bestürzendes festgestellt: Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier haben das Parlament getäuscht. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, der schon manchen Politiker das Amt gekostet hat.

Die FDP wirft Bundeskanzlerin Merkel vor, über die Tilgung der DDR-Schulden nicht die Wahrheit gesagt zu haben. (Foto: Foto: AP)

Es geht um die Behauptung, der Bund und die Länder hätten den sogenannten Erblastentilgungsfonds, in dem 1995 die übrig gebliebenen finanziellen Verpflichtungen der DDR in Höhe von gut 170 Milliarden Euro zusammengefasst worden waren, in einem Zeitraum von gerade einmal 14 Jahren getilgt.

Dass sowohl Merkel als auch Steinmeier im Bundestag auf diesen vermeintlichen Erfolg verwiesen, hatte einen einfachen Grund: Beide wollen im Zuge ihres geplanten zweiten Konjunkturprogramms erneut einen solchen Fonds einrichten. Und wem schon einmal das Bravourstück gelungen sei, einen derart gigantischen Schuldenberg wieder abzutragen, so die Botschaft, dem darf man das auch ein zweites Mal zutrauen - zumal der neue Fonds mit 21 Milliarden Euro viel kleiner ausfallen soll. Das Gezeter der Opposition, hier werde ein "Schattenhaushalt" geschaffen, entbehre jedenfalls jeder Grundlage.

Finanzfachmann Thiele gab sich mit derlei Erklärungen jedoch nicht zufrieden und stieß bei Durchsicht der Unterlagen auf einen Widerspruch, der ihm in seinen elf Jahren als Mitglied des Bundestagsfinanzausschusses verborgen geblieben war: Die im Erblastentilgungsfonds gebündelten Schulden wurden gar nicht getilgt, jedenfalls nicht komplett.

"Die schwäbische Hausfrau weiß, dass Umschuldung keine Tilgung ist"

Zwar steckten die Bundesregierungen seit 1995 Haushaltsmittel, Teile des jährlichen Bundesbankgewinns, die Erlöse aus der Versteigerung von UMTS-Mobilfunklizenzen sowie Zahlungen der Länder in den Fonds, damit kamen aber alles in allem nur etwa 85 Milliarden Euro zusammen. Interessant ist nun, was mit den übrigen 85 Milliarden Euro geschah: Sie wurden über den Bundeshaushalt abbezahlt, indem dort einfach neue Kredite in gleicher Höhe aufgenommen wurden.

Formal betrachtet bedeutet das: Der Erblastentilgungsfonds ist getilgt - allerdings um den Preis, dass ein großer Teil der Verpflichtungen nicht etwa zurückgezahlt, sondern nur umgeschuldet wurde und dem Finanzminister nun an anderer Stelle zur Last fällt. Merkel und Steinmeier haben also nicht die ganze Wahrheit gesagt - aber auch nicht gelogen.

Thiele wird damit nicht als derjenige Abgeordnete in die Geschichte eingehen, der die Kanzlerin stürzte und den Vizekanzler gleich mit. Immerhin gab es einen Trostpreis: einen Presseauftritt mit Parteichef Guido Westerwelle. "Die schwäbische Hausfrau", dozierte der in Anspielung auf eine andere Aussage Merkels, "weiß, dass Umschuldung keine Tilgung ist. Warum weiß es die Bundeskanzlerin nicht?" Merkel habe "die Unwahrheit gesagt", Vorsatz allerdings, so beeilte er sich nachzuschieben, sei wohl nicht im Spiel gewesen: "Die Frau ist ja vorsichtig."Wahrscheinlich habe sie auch nicht "mit dem Taschenrechner überprüft", ob alles, was man ihr ins Manuskript ihrer Bundestagsrede geschrieben habe, richtig sei. Einen guten Rat gab Westerwelle der Kanzlerin dennoch mit: "Man darf die Zahlen, die die Regierung einem vorträgt, nicht glauben."

© SZ vom 29.01.2009/bosw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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