Entscheidung in Helsinki:Russland kann im Europarat bleiben

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Huldigung an den Eroberer: Wandbild von Kremlchef Wladimir Putin an einer Hauswand auf der Krim. (Foto: STR/AFP)

Die Außenminister beenden den Streit um das Stimmrecht, das Moskau nach der Annexion der Krim entzogen wurde.

Von Silke Bigalke, Moskau

Russland darf im Europarat wohl bald wieder mitbestimmen. Damit würden, zum ersten Mal überhaupt, Sanktionen gegen Moskau nach Annexion der Krim rückgängig gemacht. Die Außenminister des Europarates haben sich am Freitag in Helsinki auf einen Kompromiss geeinigt, damit Russland Mitglied bleiben kann. Vor allem Frankreich und Deutschland hatten sich dafür eingesetzt. "Russland gehört in den Europarat", hatte der deutsche Außenminister Heiko Maas vor dem Treffen erklärt. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte Anfang Mai betont, dass der Europarat Russland und Russland den Europarat brauche.

Dem größten der 47 Mitgliedsstaaten droht im Juni der Ausschluss, weil Moskau dann seit zwei Jahren keine Mitgliedsbeiträge mehr gezahlt haben wird. Die Zahlung hatte Moskau eingestellt, weil russische Vertreter seit 2014 nicht mehr mitentscheiden dürfen. Nach der Annexion der Krim hatte der Europarat ihnen das Stimmrecht in seiner Parlamentarischen Versammlung entzogen. Die russische Staatsduma hatte zuletzt gar keine Delegation mehr in die Versammlungen geschickt, die sich vier Mal im Jahr trifft.

Die Mehrheit der Russen ist Umfragen zufolge für eine Mitgliedschaft

Ende Juni soll dort ein neuer Generalsekretär als Nachfolger für den Norweger Thorbjørn Jagland gewählt werden - ein Entscheidungsprozess, an dem Moskau nun vermutlich wieder teilnehmen kann. Darauf hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow in Helsinki gedrängt: Es sei "offensichtlich, dass die Nichtteilnahme der russischen Delegation weitreichende Folgen haben wird", warnte er. Europa müsse verstehe, dass es ohne Russland kaum möglich sei, "echte europäische Sicherheit in jeder Dimension zu gewährleisten". Lawrow betonte, dass Russland nicht aus dem Europarat austreten und alle seine Pflichten erfüllen wolle.

Ein Austritt oder Ausschluss Russlands hätte vor allem für seine Bürger schwerwiegende Folgen. Der Europarat ist vor 70 Jahren als Wertegemeinschaft von Rechtsstaaten gegründet worden. Er wacht darüber, dass die Menschenrechte in den Mitgliedsländern eingehalten werden. Russland trat dem Rat 1996 bei, und seither gilt auch dort die Europäische Menschenrechtskonvention. Nur deshalb können sich seine Einwohner an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden, was sie im Vergleich zu denen anderer Mitgliedsländer besonders häufig tun. Erst vergangenen Monat hat der Gerichtshof dem russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny Recht gegeben. Das Gericht entschied, dass der Hausarrest 2014 gegen Nawalny nicht gerechtfertigt sondern politisch motiviert gewesen sei, es verurteilte den russischen Staat zu Schadenersatz.

Zwar setzt Moskau die Entscheidungen aus Straßburg nicht immer reibungslos um. Doch falls Russland aus dem Europarat ausscheidet, verlieren seine Einwohner diesen Schutz völlig. Bereits jetzt droht der Gerichtshof für Menschenrechte aus Moskauer Perspektive an Legitimität zu verlieren: Dessen Richter werden vom Europarat ernannt, seit 2014 also ohne russische Stimmen.

Die Mehrheit der Russen ist Umfragen zufolge für eine Mitgliedschaft im Europarat, in einer Studie des unabhängigen Lewada-Zentrums im März betrachten sie 58 Prozent der Befragten positiv. Wie sehr der russische Staat tatsächlich an dieser Kontrollinstanz interessiert ist, bleibt jedoch schwer zu sagen. Russische Politiker jedenfalls deuten die Entscheidung aus Helsinki in ihrem Sinne um: Diese bestätige die "Unbegründetheit und die Gesetzwidrigkeit der vorherigen Sanktionsbeschlüsse", sagte Konstantin Kossatschow, Chef des Außenausschusses im russischen Föderationsrat, am Freitag. Kritik am Kompromiss von Helsinki kam aus dem Baltikum und aus der Ukraine. Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin blieb dem Ministertreffen aus Protest fern. Der Kompromiss sieht vor, ein neues Verfahren dafür zu entwickeln, wie ein Mitglied sanktioniert wird. Die anderen Mitglieder hoffen dadurch, Russland zunächst wieder an den Tisch zu holen. Es soll nicht bedeuten, dass sie damit von ihrer Kritik an der Krim-Annexion abrücken.

© SZ vom 18.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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