Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern:Schröders bester Streich

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Ein neues Buch schildert, wie die ehemaligen Zwangsarbeiter des Dritten Reichs entschädigt wurden - Stoff für einen packenden Film.

Franziska Augstein

Die zwei Legislaturperioden unter Kanzler Gerhard Schröder werden vor allem damit in die Geschichte eingehen, dass die Bundesrepublik unter seiner Ägide sich an einem völkerrechtswidrigen Krieg im Kosovo und als Mitglied der Nato am militärischen Einsatz in Afghanistan beteiligt hat.

Nicht unter den Tisch fallen sollte daneben die einzige wirklich erfolgreiche Großaktion, die der rot-grünen Bundesregierung gelang: die internationale Vereinbarung über die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter im Dritten Reich, die im Jahr 2000 zur Gründung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" führte. Rund elf Milliarden Mark wurden für das gigantische Unternehmen zur Verfügung gestellt.

Dass die Unterhandlungen mehr als schwierig waren, blieb seinerzeit niemandem verborgen. Die Jewish Claims Conference und der Jewish World Congress wollten zuerst jüdische Verfolgte entschädigt sehen. Vertreter von Sinti und Roma hatten sich anfangs in den Kopf gesetzt, man trachte sie zu übergehen, und ließen sich nur mühsam vom Gegenteil überzeugen. Die Repräsentanten der osteuropäischen Nationen fürchteten, übervorteilt zu werden.

Dabei sollte der Fonds besonders all jenen zu Zwangs- oder Sklavenarbeit verdammten Osteuropäern zugute kommen, die bis 1990 hinter dem Eisernen Vorhang von den "Wiedergutmachungszahlungen" der Bundesrepublik abgeschnitten gewesen waren. Die deutsche Industrie empfand das Ansinnen zunächst mehrheitlich als dreiste Zumutung. Die Verhandlungsrunden boten nicht selten das Schauspiel, wie eben noch gesittete Herren hochroten Gesichts zum Brüllen anfingen. Derweil verrann die Zeit, und an einem jeden Tag ging der Tod unter den alten Menschen um, über deren Entschädigung gestritten wurde.

Ohne die Bedrohung durch die in den USA berüchtigten Sammelklagen, die sämtliche im Dritten Reich schon tätigen Unternehmen hätten betreffen können, wäre es vermutlich erst sehr viel später, wenn überhaupt, zu einer Einigung gekommen. Einige publizitätsträchtige Aktionen in großen amerikanischen Städten machten den deutschen Konzernen aber klar, dass sie das Problem nicht einfach aussitzen könnten, so wie Helmut Kohl es versucht hatte, der erklärte, "dass die Staatskasse zubleibe". Schröders rot-grüne Regierung hingegen betrachtete es als ihre Aufgabe, im Interesse der ehemaligen Zwangsarbeiter eine Lösung zu finden.

Und einige engagierte Industrievertreter wie etwa Manfred Gentz (Daimler-Benz) oder Michael Jansen (Degussa) wirkten glaubhaft, wenn sie beteuerten, sich nicht bloß juristisch genötigt, sondern moralisch in der Pflicht zu sehen.

Als die Bundesrepublik versprochen hatte, die Hälfte der schließlich vereinbarten Gesamtsumme von etwa zehn Milliarden Mark beizusteuern, war der Weg geebnet (der Anteil der Industrie war steuerabzugsfähig, was bedeutet, dass der Staat für drei Viertel der Summe aufkam). Als Präsident Clinton sich dafür verbürgte, er werde Klagen in dieser Sache in den USA nicht zulassen, gab die deutsche Industrie sich zufrieden.

Wettlauf gegen die Zeit

Nun, da 8,7 Milliarden Mark (4,45 Milliarden Euro) an 1,66 Millionen Menschen in hundert Ländern ausgezahlt sind, in variierenden Höhen von bis zu 15.000 Mark pro Person, ist ein Sammelband erschienen, der die große Aktion beschreibt, die juristisch, diplomatisch, finanztechnisch, logistisch und auch persönlich die höchsten Anforderungen an alle Beteiligten stellte.

Die Artikel bieten trockene Lektüre (davon ausgenommen sind der lange Essay des Historikers Lutz Niethammer und die Kurzporträts einiger ehemaliger Zwangsarbeiter). Das ist indes kein Wunder: Zahlen sind nicht amüsant. Das Buch will gleichwohl das allgemeine Publikum ansprechen. In der Tat ist es insbesondere allen Filmproduzenten wärmstens zu empfehlen; es bietet den Stoff und das Personal für einen packenden, das Gefühl ansprechenden Film.

Da ist Lutz Niethammer, der von der Bundesregierung als Berater hinzugezogen wird, sich im Verlauf seiner Tätigkeit oft die Haare rauft und sich mit seinem recht persönlich geschriebenen Essay in diesem Band als die Erzählfigur im Hintergrund empfiehlt, die kompliziertere Zusammenhänge erläutert.

Da ist Stuart Eizenstat, der Vertreter des US-Präsidenten, ein eisenharter Unterhändler, der jedoch auftritt "wie die Reinkarnation eines europäischen Professors der Zwischenkriegszeit" (Niethammer).

Da wimmeln deutsche Industrielle durch die Gegend, die sich in feinsinnigen Disputationen über die Definition eines Sklavenarbeiters ergehen: Muss er oder muss er nicht von einem Zaun eingesperrt gewesen sein?

Da sind die Polen, die als gute Patrioten den polnischen Anteil der Entschädigungen in Zloty ausgezahlt bekommen wollen und sich anschließend über den vereinbarten Wechselkurs ärgern.

Da ist der Beauftragte der Bundesregierung, der betagte Politiker Otto Graf Lambsdorff, ein schwer Kriegsversehrter, der nur für Gottes Lohn um die ganze Welt jettet und wohl nie zuvor in seinem Leben so bereitwillig Interviews am laufenden Band gegeben hat, damit die Nachricht von der Stiftung sich bei möglichen Begünstigten vom Ural bis nach Kentucky verbreite.

Sie alle versammeln sich schließlich hinter der großen gemeinsamen Aufgabe, dem Wettlauf gegen die Zeit und der Frage: "Wie verteilt man 8,7 Milliarden DM an über eine Million Menschen, die über die ganze Welt verstreut leben und angesichts ihres Alters und ihrer Lebenssituation mitunter gar nicht wissen, was ihnen nach diesem Gesetz zusteht und wo und wie man einen Antrag stellt?"

Jetzt ist das Geld verteilt. Übrig bleiben mehr als 400 Millionen Euro, der Grundstock der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", die noch vielfältige Projekte der internationalen humanitären Zusammenarbeit finanzieren wird. Was indes den Film angeht, so könnte dieser in einem winzigen ukrainischen Dörfchen enden, wo eine Figur auftaucht, die sich über Pfützen und durch einen Hühnerschwarm ihren Weg zu einer Kate bahnt, eine Figur, wie man sie dort noch nie gesehen hat: ein Geldbriefträger.

Michael Jansen, Günter Saathoff (Hrsg.): "Gemeinsame Verantwortung und moralische Pflicht." Abschlussbericht zu den Auszahlungsprogrammen der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 234 Seiten, 16 Euro.

© SZ vom 30.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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